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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 24.1906

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Nr. 7
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Naegele, Anton: Ein neuentdecktes Totentanzgemälde aus dem Mittelalter in der deutschen Reichshauptstadt, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15939#0078

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.66

des Todesgedankens in dichterischer und
künstlerischer Form, in der wechselvollen
E n t n> i ck l u n g s g e s ch i ch t e der T o t e n-
tnnzbilder überhaupt zukommt. Hat
doch die Idee von der Allgewalt des
Todes zu allen Zeiten, besonders genährt
in den Schreckenszeiten außergewöhnlicher
Tyrannis des Imperator lAors in Pest-,
Kriegs- und Hungersnot, ihren Ausdruck
in Wort und Bild gesucht und gefunden
und Maler, Bildhauer und Dichter haben
die Neigung, das Menschenleben in seinen
vielgestaltigen Aenßernngen von seinem
Endpunkt ans zu überschauen und zu er-
fassen, aufgegriffen und in der Vereinigung
der beiden höchsten Kontraste düsteren,
schauerlichen Ernstes und intensivster
Lebensfreude die Vorstellung vom Toten-
tanz ausgeprägt: im tollen Wirbeltanz
des Lebens der Tod als Neigenführer.
In Wandgemälden und Neliefbildern,
auf Stickereien und Glockenrändern, in
den Hallen und Kapellen von Kirchen,
an den Wänden von Klosterkreuzgängen,
in den Palästen und Schlössern begegnen
wir der Chorea Maccabaeorum (Danse
macabrc), durch alle Jahrhunderte, seit
ihrem ersten künstlerischen Erwachen in
der Schlnßepoche des Mittelalters, hat sie
die Künstlerphantasie beschäftigt und wenn
auch in der Großkunst seltener als ehe-
dem, festgehalten auch in dem Zeitalter,
da der „Wille zum Leben" stärkere Im-
pulse fordern soll. Von besonderem In-
teresse für uns dürfte die Tatsache sein,
daß in der langen Reihe von Darstel-
lungen des Totentanzes während fünf
Jahrhunderten wohl die allerjüngste in
unserer Heimat sich befindet: es ist der
von Professor Tobias Weiß, dem ge-
feierten Nürnberger Künstler, gemalte
Totentanz in der St. Michaclsfricdhof-
kapelle in Mergentheim, nach den
Originalkartons 1893 herausgegeben von
W. Kreiten 3. J. ans 15 Quartfolio-
blättern, betitelt Sceptra mortis, ein
Werk, nach Auffassung und Ausführung
durchaus originell; es führt die Macht
des Todes nur an biblischen Gestalten
vor.

Während die bildenden Künste alle sich
des gewaltigen Stoffs bemächtigt haben,
scheint bis jetzt gerade die Musik, „die
geborene Darstellerin des Tanzes", an

diesem dankbaren Vorwurf vorüberge-
gangen zu sein, wenn wir von St. Saens'
Danse macabre alffeheu. Erst die aller-
jüngste Vergangenheit hat uns mit einem
Chorwerk von gewaltiger Kraft und Di-
mension beschenkt, das dem erhabenen
Gegenstand nach Text und Musik gewachsen
zu sein scheint. Am 6. Februar 1906
fand im Gürzenich in Köln die Urauf-
führung von F e l i x W o y r s ch' s „T o t e n-
tanz, ein Mysterium für Solostimmen,
Chor, Orchester und Orgel", statt. Das
alte Lied von der Eitelkeit und Vergäng-
lichkeit alles Menschlichen hat hier er-
greifendsten Ausdruck gefunden. In fünf
Bildern, der König (Sardanapel), Lands-
knecht, Kind, Spielmann, Greis, wird die
Allgewalt des Todes mit seinen Schreck-
nissen, aber auch seinen Tröstungen vor-
geführt; jedes einzelne Bild ist ein Drama
für sich, in Wort und Ton jeder betreffen-
den Situation angepaßt, getragen vom
Geiste der alten deutschen Totentanz-
dichtung. Der Komponist war sein eigener
Dichter. Wie eine musikalisch-poetische
Illustration unserer Totentanzgemälde
nimmt sich der von Woyrsch gedichtete
Eingangschor ans, in dem der Tod zum
Tanze einladet:

„Herbei kommt alle, groß und klein,

In meinen Neigen tretet ein,

Die Fiedel will ich rühren.

Hier gilt nicht vornehvl, nicht gering.
Wir wollen alle guter Ding'

Ein'u lnst'gen Tanz vollführen!

Komm Reicher, komm, komm Bettelmann,
An meinen Neigen schließt euch an.

Wir woll'n gar fein stolzieren!

Mit deinem Krummstab, Bischof, komm.
Komm mit dem Blondzopf, Mägdlein

fromm,

Sollst meinen Reigen zieren!

Das Blatt verwelkt, die Blum vergeht
Und sinket zu der Erden,

Kein' Menschenmacht vor mir besteht.
Staub muß zu Staube werden!"

Indes die Idee der Totentänze und
ihre geschichtliche Entwicklung in der Kunst
des Mittelalters und der neueren Zeit
darf uns hier, so belehrend ein solcher
Ausblick auch wäre, nicht länger beschäf-
tigen; älterer Forscher Arbeiten, wie
Maßmann, Lübke, Wackernagel, Wessely,
 
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