Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 24.1906

DOI Heft:
Nr. 8
DOI Artikel:
Naegele, Anton: Ein neuentdecktes Totentanzgemälde aus dem Mittelalter in der deutschen Reichshauptstadt, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15939#0092

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
80

werden: Der erste Interpret des neu ent-
deckten Totentanzes findet es merkwürdig,
daß das Gemälde in demjenigen Teile
der Kirche sich findet, welcher dem Schau-
platz der Tat am nächsten liegt (Toten-
tanz S. 7), verneint jedoch stillschweigend
die Berechtigung, einen inneren ursäch-
lichen Zusammenhang dafür anzunehmen.
Der einzige Einwand dürfte wohl die
öfters gemachte Beobachtung sein, wonach
man häufig die Totentänze an der N o r d -
feite der Gebäude anbrachte, so in St.
Paul in London, in Cherbourg, Chaise-
dicn, Lübeck, Straßburg u. a. (s. Prüfer,
Totentanz 10, 1); als Grund dieser Ge-
wohnheit wird vermutet, der kalte dunkle
Norden habe den finstern kalten Tod in
dem gerne symbolisierenden Mittelalter
a,n besten entsprochen (Prüfer 10, 1),
die lichtlose, der Sonne abgeneigte Him-
melsgegend habe man dem Kultus des
Todes bestimmt (Lübke 9). Indes ab-
gesehen von manch anderen symbolischen,
wie besonders praktischen und paräneti-
schen Gründen legt doch die vermutungs-
weise wahrscheinlichste Stiftung des spä-
teren Totentanzbildes durch dieKalands-
bru dersch a ft obige Annahme sehr nahe.
Diese tm Norden, z. B. in Stralsund,
u. a. einst bestehende Konfraternität hatte
ja als Hauptzweck die Pflege der Comme-
moratio defunctorum; der Berliner Ka-
land besaß 5 Altäre in der Marienkirche
und bewahrte sicherlich das Andenken (in
Gebet und Opfer) an den so schrecklich
aus dem Leben gerissenen Mitbruder.
Dazu half auch die Stiftung von Kreuz,
Lampe, Altar und Sterbemessen zum
„ewigen Gedächtnis" der Erinnerung an
die Bluttat in der Bürgerschaft nach.
Wie fest dies heute noch in der Millionen-
stadt bei Katholiken wie Protestanten auch
in weniger geschichtsknndigen Kreisen fort-
lcbt, konnte ich aus eigener Erfahrung
der letzten Jahre öfters erproben. Und
wenn nach anderer Vermutung die Bürger-
schaft Berlins das Gemälde zur Erinner-
ung an das an und bei der Kirche ver-
übte Unrecht an einem geistlichen Würden-
träger gestiftet haben sollte, so legt sich
unsere Beweisführung noch mehr nahe
und erklärt in etwa auch die von allen
Forschern als beispiellos angestaunte strenge
Durchführung der Standestrennung von

Klerikern und Laien in den Berliner
Totentanzgrnppen. Das Memento mori
in stiller monumentaler und lauterer
farbenprächtiger Gestalt könnte nicht ein-
dringlicher den Gläubigen zugerufen werden,
wenn das Bild des Todes vor der
Schwelle und über der Schwelle beim
Eintritt ins Gotteshaus sie begleitete.
Das Mittelalter ließ sich gerne öfter an
das Unvermeidliche und Ungewisse erinnern.

Neue Nachrichten erfahren wir erst
wieder tiach dem großen Brand, der 1380
die Stadt Berlin mit ihren zwei Pfarr-
kirchen und denl Nathans einäscherte
(Angelus, Chronicon March. 250). Die
Bangeschichte der neuen, alsbald nach der
verheerenden Feuersbrunst wieder ans der
Asche sich erhebenden Kirche ist nun maß-
gebend für unser in Rede stehendes Kunst-
werk. x) Schon ein Jahr danach erteilt
der Kardinal Milens int Auftrag des
Papstes Urban VI. allen, die zum Aufbait
der abgebrannten Berliner Marienkirche
beisteuern, einen Ablaß voll 100 Jahren
(Fidicin III, 26, 2). Dieser jedenfalls
gleich begonnene Neubau muß im Jahre
1405 im wesentlichen bereits vollendet
gewesen sein, denn in diesem selben Jahre
schenkte der Bischof von Lebus, einem
alten Bischofssitz in der Mark, der Kirche
mehrere Reliquien, unter anderem „ein
Stück vom Kreuze Christi, von der Erde,
darauf Christus niederfiel, lac der hei-
ligen Maria" und andere in Fidicins
Urkundensammlung (III, 287) anfgeführte,
mehr oder weniger anfechtbare Reliquien,
und nach einer anderen Urkunde von
1418 verkaufen die Kirchenvorsteher an
mehrere Personen eine Rente, um das
Geld ,,in vnser liven (frouwen) klok-
torne gebuw und beste“ zu verwenden
l Fidicin III, 295; I, 223). Aus dem
Wortlaut dieser Urkunde schließt Lübke
(Totentanz S. 8), daß „man um 1418
die letzte Hand an die Vollendung des
Glockentnrms gelegt zu haben scheint".

y Reste dieser erste» romanischen Bauperiode
glaubt Lübke »och i» der jetzige» Gestalt der
Marienkirche i» de» pilasterariigen, a» den Ecken
abgeschrägte» und mit Halbsäulchen geschmückten
Vorlage» der östlichen Polygonpfeiler, deren ein-
sachen Sockel zu finde»; der Brand von 1680
müsse die Gewölbe zerstört, die Pfeilergesimse
beschädigt und den Turm bedeutend getroffen
haben. (Totentanz S. 8.)
 
Annotationen