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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 24.1906

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Nr. 10
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Reiter, Joseph: Ein Nebenalter in der Kirche zu Glatt in Hohenzollern
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https://doi.org/10.11588/diglit.15939#0108

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96

tekturteile sind aus Eichenholz, die von
W. Klink geschnitzten Figuren sind vor-
nehm gefaßt und verraten in ihrer Gewan-
dung durchweg altdeutsche Motive.

Die Predella enthält in ihrer Mitte
einen kräftig vorspringenden Karwochen-
taberuakel, ihre Seitennischen zieren zwei
überaus schöne, altdeutsch gehaltene Engels-
siguren in reicher Gewandung, welche in
Veit Stoßschen Engeln ihre Vorbilder
haben. Der Engel auf der Epistelseite
präsentiert dem frommen Beschauer den
Stiftungsbrief der Rosenkranzbrnderschaft,
welche im Jahre 1684 in Glatt eingeführt
und im Jahre 1890 durch den gegen-
wärtigen Pfarrer Raible erneuert worden
ist. Angehängt ist naturgetreu u>ie bei
den alten Urkunden — an einem Siegel-
streifeu — ein Siegel in einer Siegel-
büchse, welches das Wappen des Domini-
kanerordens (Hund mit Fackel, Kreuz,
Palme, Rosenkranz) zeigt. Der Engel
auf der Evangelienseite hält eine päpst-
liche Pergamenturknude, welche auf den
von Papst Leo XIII. 1892 errichteten und
in Glatt im Jahre 1895 eingeftthrten
Verein zu Ehren der heiligen Familie
von Nazareth hinweist und in dem Siegel
das Wappen des Papstes erkennen läßt.
Bedenkt mau, daß früher nur Fürsten
mit rotem Wachs siegelten, und daß später
dieses Recht als Symbol einer ganz be-
sonderen Gerechtsame verliehen wurde, so
hat der Umstand, daß beide Siegel unserer
Urkunden die rote Farbe zeigen, noch eine
spezielle Bedeutung. Auch der kleine, auf-
blühende Nosenstock, welcher die beiden
Engel umrankt, führt eine besondere
Sprache, sofern er die Rosenkrauzbruder-
schaft versinnbilden will. Die Präsentation
beider Urkunden durch Engel soll sowohl
beide fromme Vereinigungen der Pfarr-
gemeinde als besondere Gnadengeschenke
des Himmels charakterisieren, als auch
letztere verewigen, das heißt ihren Bestand
sichern.

Diese und noch andere Inspirationen
der Künstler durch den Ortspfarrer wollen
uns als recht glücklich erscheinen.

Wie der Hauptschrein des Horber Altars
ein Pietäbild ausgenommen hat, ähnlich
ist es bei dem Altäre in Glatt: auch hier
erblicken wir in der mittleren Nische die
Muttergottes mit beut Leichnam ihres

Sohnes, nur daß die Pieta alt ist und
Johannes und Magdalena fehlen. Der
Christus spricht uns recht an: die Haare
erinnern in ihrer Behandlung teilweise
an die romanische Zeit, der Mund ist
geöffnet, auf den Lippen schwebt noch der
Ausdruck des Schmerzes. Maria, welche
einen Kopfbnud und einen weißen Kinn-
schleier trägt und eben Tränen abwischte,
hat in ihren Zügen etwas Kräftiges, Tief-
schmerzliches. — Dieses Vesperbild, welches
die Größenverhältnisse des Altars wesent-
lich bestimntt hat, stammt aus einer ehe-
maligen, jetzt abgebrochenen Allerheiligen-
kapelle bei Glatt, wozu ich bemerken möchte,
daß die alten Allerheiligen-Kirchen oder
-Kapellen oder -Altäre eigentlich Mnrien-
kircheu, Marienkapelleu oder Marienaltäre
sind. Genau läßt sich das Alter des Bil-
des nicht bestimmen, doch dürfte es nicht
weit gefehlt sein, wenn man es dem Ende
der spätgotischen Zeit zumeist. Erwähnens-
wert ist noch, daß der Hintergrund der
Nische einen goldenen Teppich birgt, und
daß auf den Schlußsteinen des Baldachins
pietätvoll zwei Wappen angebracht sind
und zwar das Neunecksche Wappen und
das Hohenzollernsche. Das alte Vesperbild
selbst, früher als Guadeubild verehrt, ver-
leiht beut Altäre eine merkwürdige An-
ziehungskraft. Oft und gerne finden sich
Beter davor ein.

In der Seitennische auf der Evangelieu-
seite ist in erhabener Arbeit die heilige
Familie in mehr nioderner Auffassung
dargestellt. Das Jesuskind ist so auzu-
sehen, wie wenn der Künstler in die Züge
seines Antlitzes eine gewisse Reife hätte
hineinlegen wollen. Maria hält den Spinn-
rocken, welches Motiv nach Grisar (Ge-
schichte Roms) schon im 5. Jahrhundert
vorkomutt bei der Darstellung von Mariä
Verkündigung.

Die Gruppe in der Nische auf der
Epistelseite ist recht hübsch und traditionell:
Maria reicht dem hl. Dominikus den Ro-
senkranz, während das Jesuskind, welches
Maria hält, der hl. Katharina von Siena
den Brautring gibt. Beim hl. Dominikus
fehlt das.Evangelieubuch und der Hund
mit der Fackel nicht. Auf dent Fuße des
Thrones liegen drei Kränzchen mit weißen,
roten und goldenen Rosen, welche die
Mitglieder der Rosenkranzbruderschaft an
 
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