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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 24.1906

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Nr. 12
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Ein Beitrag zu dem Kapitel: Mystik und Volkskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.15939#0128
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nicht mehr als ein Ding für sich ge-
nonimen, sondern als ein Exponent der
gesamten kulturellen Bedeutung einer Zeit,
jedenfalls in dem Sinn, daß sie aus den
allgemeinen Kultnrbedingnngen nicht los-
gelost betrachtet werden darf. So er-
wachst ans dieser veränderten Auffassung
die Aufgabe, die verbindenden Fäden
zwischen Kunst und Kultur im weitesten
Sinn anfzuzeigen.

Für die religiöse Kunst spezifiziert sich
die Aufgabe dahin, daß die Beziehungen
zur hl. Schrift, zur Legende und Volks-
sage, zur Typologie, Symbolik und
Aszelik, zur Mystik, Liturgie, Theologie
und zum religiösen Schauspiel näherer
Beachtung gewürdigt werden müssen. In
unübertrefflicher Weise hat z. B. Schrörs
diese Arbeit für Gemälde des Fra Ange-
lico geleistet. K. T s ch e u s ch n e r in Bonn
hat überraschende Beziehungen zwischen der
deutschen Passionsbühne und der deutschen
Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts
aufgedeckt im Repertorium für Kunst-
wissenschaft 27 (1904) und 28 (1905).
A. Peltzer schrieb über Deutsche Kunst
und deutsche Mystik. Straßburg, 1899.
E. Hintze hat in seinem Buche „Den
Einfluß der Mystiker ans die ältere
Kölner Malerschnle" (Breslau, 1901) be-
handelt. Fr. Schneider wies solche
Einflüsse bei dem seltsamen Matthias
Grünewald nach in einem ungewöhnlich
feinsinnige» Essay: „Matthias Grünewald
und die Mystik", 1905.

In dieses Kapitel gehören nun auch
drei Holzschnitte vom Ende des 15. Jahr-
hunderts, die von Schreiber in seinem
Manuel de l’amateur de la gravure sur
bois I, Berlin, .1891, Ar. 821—823,
näher beschrieben werden. Diese Holz-
schnitte stellen das Jesuskind dar mit einem
Tragkorb voll Rosen. Darüber die In-
schrift: „Patientia“. Dabei stehen die
Verse:

„Ich will rosen brechen

Und will leyden J uff min Frnd ch trechen?)

Wer snnder lieb zu gott will han,

Der sol billich allzit in leyden stau.

Leyden sol er haben vil

Wer gottes frenntschaft haben wil."

') Leide».

2) Frud = Fruud, Freunde.

8) trechen = ziehen.

Die Holzschnitte stammen zweifellos aus
Süddentschland. Der eine davon läßt
sich genau verifizieren. Es ist der dritte,
dessen Holzstock heute noch vorhanden ist
(Germ. Mus.). Er stammt ans dem Kloster
Söflingen bei Ulm. Der erste der-
selben ist nach der Annahme Schreibers
entweder zu Nürnberg oder zu Augsburg
um das Jahr 1470 entstanden.

Soweit es sich dabei um Einblatl-
drncke handelt, haben wir es hier viel-
leicht mit Holzschnitten zu tun, die für
Kranke als Trostmittel bestimmt waren,
oder zil aszetischen Zwecken in Klöstern
dienten. — In der „Zeitschrift für katho-
lische Theologie", 30 (1906), 595 f. wird
nun daraus aufmerksam gemacht, daß
wir in der Darstellung wahrscheinlich eine
Anspielung ans die Vision zu erkennen
habe», ivelche eine „heilige Tochter" über
Sense hatte. Der selige Heinrich Sense
erzählt sie uns in seiner Selbstbiographie
folgendermaßen'): „Dieselbe heilige Tochter
sagte ihm, daß sie einmal im Geist einen
schönen Rosenbanm gesehen hätte, wohl-
geziert mit roten Rosen, und ans dem
Rosenbaum erschien das Kindlein Jesus
mit einem roten Nosenkränzlein. Unter
dem Rosenbanm sah sie sitzen den Diener
(—- Sense). Das Kindlein brach der
Rosen viele ab und warf sie auf den
Diener, so daß er zumal mit Rosen be-
streuet war. Da sie das Kindlein
fragte, was die Ros e n b e z e i ch -
»etnt, da sprach es: „Die Menge
d e r R o s e n, das sind d i e mannig-
faltigen Leiden, die ihm Gott
zu senden ivill, die er freundlich
von Gott empfangen und gedul-
diglich leiden soll"."

Diese Deutung des Holzschnittes ge-
winnt an Sicherheit noch erheblich da-
durch, daß diese Stelle bei Sense auch
sonst durch Holzschnittbilder ausgezeichnet
wurde. Ein anderer stellt den seligen
Suso knieend dar; das Jesuskino steht
ans einem Rosenstrauch und wirft Rosen
ans ihn. Dabei stehen Verse, die sich auf
das Grab Senfes beziehen?)

') H. S. Denifle, Die Schriften'des seligen
Heinrich Sense, 1. Band. München, 1876, S. 151.

-) Einblattdruck im Germanischen Museum zu
Nürnberg, publiziert in: „Die Holzschnitte des
14. und 15. Jahrhunderts im Germanischen
 
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