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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 25.1907

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Nr. 5
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Groner, Anton: Die Capitani der Medicigräber Michelangelos
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https://doi.org/10.11588/diglit.15940#0053

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— 46 —

\

Nacht geschieden habe, und es dann in,
zweiten Vers heißt:

So wird sein Schicksal, eh’ er's noch gedacht,

Jedwedem Menschen, der auf Erden wohnt. —

Ich ward nie von der dunkeln Zeit verschont.

Um meine Wiege wogte schon die Nacht!

Es ist dies eines der Gedichte, in denen
Michelangelo im Geschmack seiner Zeit
oft unverständlich symbolisiert. Hier aber
ist der einfache Gedanke sehr klar: es
gibt Glückskinder und Unglücksmenschen,
und zu den letzteren habe ich von Geburt
an gehört. Nach einem Grunde, die bei-
den Herzoge als den großen Glücklichen
und den Unglücklichen zll verewigen, suchen
wir in der Geschichte vergeblich. Und
auch in den beiden Statuen vermögen
wir diesen Gegensatz nicht zu entdecken.
Denn mehr als gespannte Betätigung des
Geistes nach innen und nach außen, tiefes
Nachdenken und anfuierksames Beobachten
der Außenwelt, kann ohne Zwang in die
beiden Figuren nicht hineingelegt werden.
Es wäre auch sicherlich, wenn nicht zu-
fällig das Gedichtchen erhalten wäre, nie-
mand auf den Gedanken gekommen, daß
die Herzoge als Söhne des Tages und
der Nacht verherrlicht seien.

DaS tätige und das beschauliche Leben,
das Schicksal der Söhne des Tages und der
Nacht kann Michelangelo unmöglich an
den beiden Capitani veranschaulichen wol-
len. Was hatte er dann sonst an ihnen
zu illustrieren?

Der ernste Künstler und Denker, seiner
politischen Gesinnung nach Republikaner,
stand bei Uebernahme der Grabdenkmäler ^
vor der wenig lockenden Aufgabe, in den
Hanplmonumenteu die beiden Medici-Epi-
gonen, minder würdige Potentaten seiner
geliebten Vaterstadt zu verewigen. Nun
wissen wir aus Michelangelos Briefwechsel, !
daß gerade die beiden Sitzstatuen zu den
wenigen Figuren gehörten, welche der!
Meister trotz allen Drängens aus Nom,
Gehilfen beizuziehen und die Arbeit mög-
lichst zu beschleunigen, eigenhändig aus-
sühren wollte. Ist es wahrscheinlich, daß
der Meister, der nur. dann zu schaffen
vermochte, wenn sein ganzes Innere von
der Aufgabe ergriffen war, diese beiden
Figuren seinem eigenen Meißel vorbe- I
Hallen und nicht gerade sie am liebsten '
Gehilfen zur Ausführung überlassen hätte,

wenn es sich wirklich um Statuen der beiden
entarteten Medici-Sprößlinge handelte?

Die erhaltenen Bildnisse lehren, daß
die Köpfe der Statuen denen der Herzoge
gar nicht gleichen. Durch Niccolo Mar-
telli erfahren wir, daß sich schon seinerzeit
die Florentiner über diese Tatsache auf-
gehalten haben. Michelangelo fertigte sie
ab mit der Bemerkung, daß nach tausend
Jahren doch niemand mehr wissen werde,
wie die Herzoge in Wahrheit aussahen.
Was wollte er damit sagen? Daß der
Porträtbildner das Recht habe, zu schmei-
cheln, die bärtigen Herzoge etwas zu fri-
sieren? Aber die Möglichkeit einer solchen
rein künstlerischen Netouche erklärt nicht
die Liebe, welche der Künstler gerade
diesen Statuen zuwandte. Klingt nicht
aus seinen Worten die Andeutung, daß
er gar nicht die beiden Herzoge darstellen
wollte? Jedenfalls verraten sie, daß ihm
die beiden Persönlichkeiten höchst gleich-
gültig waren. Größer noch als im
äußeren Aussehen der Figuren ist der
Widerspruch ihres inneren Lebens mit dem
historischen Charakter der Herzoge, so daß
H. Grimm seinerzeit die durch inzwischen
erfolgte Oeffnung der Sarkophage als un-
haltbar erkannte Ansicht vertreten konnte,
die beiden Figuren seien in der Benen-
nung verwechselt worden. Die Tatsache
bleibt bestehen, daß die beiden Statuen
ebensogut oder noch besser die Gräber
der beiden älteren Magnifici Giuliano
und Lorenzo oder die anderer Herrscher
schmücken könnten. Es sind eben namen-
lose Jdealgestalten zweier Herrscher. Da-
für spricht auch die Wahl der (antiken)
Jdealtracht statt des Zeitkostüms. Worin
liegt aber dann der Gegensatz, den sie
vertreten? „Nach tausend Jahren wird
doch niemand mehr wissen, wie die beiden
Herzoge aussahen." Liegt darin nicht
das Bekenntnis, daß die beiden Gestalten
für den Besucher gedacht seien, der nach
tausend Jahren ohne Kenntnis der Toten,
ihrer Individualität und ihres historischen
Werts oder Unwerts, vor die Bildwerke
trete? Dann muß auch uns schon heute,
nach Verfluß von annähernd vier Jahr-
hunderten, das Verständnis ebensogut
möglich sein, wenn wir uns nur dazu
verstehen wollen, einmal den archäologi-
schen Kram zu vergessen und so voraus-
 
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