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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 25.1907

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Nr. 6
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Kümmel, Konrad: Die neue Leutkircher Monstranz, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15940#0065

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Architektur sich erhebt. Vom eigentlichen
Fuße zählen hieher die prachtvollen Bnckel-
selder desselben mit ihrer Treib-, Gravier-
nnd Ziselierknnst in bem Wechsel von
Matt und Politur sowie mit den so
malerisch wirkenden mächtigen Krabben
in der Gestalt von zusammengeschlossenem
Blätterwerk, welch letztere je auf den
inneren Winkeln des Sechspasses sitzen.
Der Fuß hat in diesen kräftigen Formen
und Konturen ein reiches Leben erhalten.
ES ist dies aber förmlich notwendig ge-
wesen; — eilt einfacher Fnß, wie solchen
die meisten gotischen Monstranzen zeigen
mit nüchternen, fast rein geometrischen
Linien, wäre ein schreiender Gegensatz zu
dem Neichtunr der oberen Teile. Das
Reichste und Schönste aber des reinen
Zierdetails ist der mächtigen G r u n d-
platte einverleibt, welche den Boden für
den eigentlichen Sakramentshansbau der
Monstranz bildet. Die untere Seite dieser
Platte ist überdeckt und übersponnen von
einem freien, naturalistischen Ranken- und
Blätteriverk üppigster Art, das sich in
seinen Verschlingungen köstlich dnrchein-
anderschiebt und an vier Seiten nach unten
in prachtvollen, halb erschlossenen Blumen-
kelchen, denen auch die feinsten Staubfäden
nicht fehlen, auSladet. Dies Stück zeigt
auch die Virtuosität, mit welcher Meister
Hugger die gotische Formensprache zum
Ausdruck gewissermaßen modern-natura-
listischer Gedanken handhabt.

Die obere Seite dieser Platte trägt
vorne ein Zierwerk eigenster Art: die
fünfteilige Gruppe des Agnus Dei und
der vier Evangelistensymbole in fein nach-
ziselierlem Kunstguß ans Feinsilber. Diese
überaus wirkungsvolle Fignrengrnppe bildet
gleichsam die Ehrenwache vor dein Thronus
des Allerheiligsten. Die untere Einfassung
des Expositionsraumes, in Kronenform
gehalten, wächst hinter ihr empor, und
ans dieser erhebt sich die Lunnla in
prachtvoller Arbeit: zwei knieende Engel-
fignren, zwischen welchen ein Blumen-
ornament anfrankt, tragen sie und bilden
eine reiche Basis für dieselbe. Sie selbst
werden wieder getragen von einer fein
durchbrochenen Sockelplatte, welche aus-
ziehbar ist. Alles das geht zusammen zu
einem prachtvollen Ganzen.

Eine Verbindung von geometrisch-archi-

tektonischen und naturalistischen Formen
zeigt sich in dem Detail der Bekrönung
des Thronus über der Halbkugel, die den-
selben oben abschließt. Hier wächst zwischen
den sich schneidenden und kreuzenden Bogen-
teilen des Baldachins, die dann nach oben
in Fialen und reichen Kreuzblumen enden,
feines Blätter- und Blütenwerk (Lilien-
form) heraus, so daß dieser Baldachin in
seiner Vereinigung von architektonischen
und naturalistischen Motiven in gewisser
Weise eine Dornen- und Blütenkrone zu-
gleich darstellt, welche über dem Thronus
schwebt. — Ganz eigenartig ist auch der
große Knauf des Monstranzschaftes ge-
halten. Er zeigt lauter architektonische
Forinen: spätgotische Spitzbogen mit

Krabben, Kreuzblumen und Fialen —
aber diese strengen Formen sind so zu-
sammengefaßt, daß der Knauf, den sie
bilden, weit eher einer stilisierten, pracht-
vollen Knospe, denn einem gotischen Archi-
tekturstück gleichsieht. Es ist dies dadurch
erreicht, daß der Meister die Formen, wie
wenn sie ans Wachs wären, zu seinem
Zwecke einwärts gebogen und eng anein-
andergeschlossen hat, so daß sie, an einen
halbgeschlossenen Blumenkelch erinnernd,
den richtigen Charakter eines Knaufes er-
hielten und zugleich diesen überaus prak-
tisch und handlich gestalteten — im Gegen-
satz zu so manchen Kelch- und Monstranz-
knäufen, die wegen ihrer streng architek-
tonischen Durchführung so scharfe Ecken,
Kanten und Spitzen haben, daß sie nur
mit höchster Unbequemlichkeit gefaßt nnv
gehalten werden können. Diese Beherrsch-
ung und Verwendung gotischer Formen
zeigt den Meister.

Sieht man näher zn, wo und wie das
Detail besonders entfaltet ist, so hat man
sofort das Resultat, daß gerade der
Schmuck, die Schönheit, die Phantasie
da am reichsten walten, wo es gilt, der Be-
stimmung der Monstranz zu dienen. All
dieser Reichtuin sammelt sich um den
Thronus, um die Exposition, um das
Sanktissimum. Zn seinen Füßen blüht's
und wncherl's um die Tragplatte in reichster
Ueppigkeit, darüber glänzt in schier berücken-
dem Ensemble die Gruppe der Evange-
listensymbole mit der Basis der Lunnla;
zn beiden Seiten ist der Thronus flankiert
von den Prachtpfeilern mit Engelsfiguren
 
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