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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 26.1908

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Nr. 3
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Groner, Anton: Der Plan von Michel Angelos Medicigräbern, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15941#0043

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liguiig sind die einfache, tiefe Idee des
Juliusgrabmals, des großartigsten Monu-
ment aux Morts, das je ein Künstler-
genius ersann. In der Sixtinischen Kapelle
bat Michel Angelo derselben Idee mit
Farbe und Pinsel einen gleich gewaltigen
und erhabenen Ansdruck verliehen: Ver-
lust des Paradieses und seine Wieder-
erschließnug, die Stiftung der durch die
Synagoge vorbereiteten Kirche, ist die
große Idee der Sixtinischen Kapelle. Aufs
neue verherrlichte der Genius die Gedanken
des Juliusgrabmals in den Bildwerken
der Medicikapelle, aber in einer ganz neuen,
unvergleichlich gedrungenen und formgewal-
ligeu Sprache. Aus den symbolischen Ver-
tretern der unter der Sündenknechtschaft
schmachtenden Menschheit, den nackten
Gefesselten des Juliusgrabmals, mit denen
er auch in den Skizzen für die Medici-
gräber begann, wurden die vier „Tages-
zeiten", gleichfalls symbolische Vertreter
der Menschheit, die statt der äußeren Fesseln
durch ihre Charakteristik als Sklaven des
von Gott nach dem Sündenfall im Para-
dies ausgesprochenen Fluchs erscheinen.
Wie tief diese Gedanken während der
Arbeit den Künstler beschäftigten, zeigt
ein Gedicht, das er auf die Rückseite eines
vom 8. Oktober 1525 ans Carrara datierten
und demnach Mitte Oktober in seinen
Besitz gekommenen Briefes schrieb; es
lautet im Original und in möglichst ge-
treuer Uebeisetzung:

Vivo al peccato, a me morendo vivo;
Vita giä non mia son, ma del peccato:

Wie ben dal ciel, mie mal da me m’e dato,
Dal mie sciolto voler, di ch’io sono privo.

Serva mie libertä, mortal mie divo
A me s’e fatto: o infelice stato!

A che miseria, a che viver son nato!

Äch leb' der Sünde, mir erst mit dem Grabe;
Nicht Eigenleben bin ich, Sündenleben:

Mein Heil hnt Gott, mein Leid Hab' ich gegeben
Durch freie Wahl, die ich verloren habe.

Die Freiheit Sklavin, Tod ward Gottesgabe
Dem freien Streben: ein unselig Leben!

Welch Erdenleid gab mir des Schicksals Weben!

Es sind ganz die gleichen Gedanken
und Empfindungen, denen Michel Angelo
hier mit Worten und in den „Tageszeiten"
mit dem Meißel künstlerische Gestalt ver-
liehen hat. Und für ihre tiefe Wahrheit,
für ben Fluch, der auch aus der Arbeit
dieses Größten lastete, könnte lnan kaum
einen ergreifenderen Beweis ersinnen als s

das stumme Zeugnis des Jnliusgrabmals
in seiner schließlichen Gestalt und der
heutigen Ruine der Medicikapelle. Außer
dem architektonischen Ausbau der beiden
Herzogsgräber hat Michel Angelo nur
sieben Figuren nusgeführt, unb selbst diese
nicht einmal vollendet. Aber auch dann,
wenn die beiden Herzogsgräber vollständig
nach denl Plan vollendet worden wären,
würden sie für sich doch nur einen Torso
darstellen. Denn anch nachdem Michel
Angelo v o n d e m u r s p r ü n g l i ch g e-
p lauten einzigen Frei grab für
alle vier Mitglieder der Familie
zu den Wandgräberu übergegan-
gen war, hielt er an der I dee
eines einzigen Familiengrabs
fest. Ans die große Frage, welche die
; beiden Seitengräber aufrollen, sollte das
i Doppelgrab dazwischen die Antwort geben.

| Diese Tatsache, die von der heutigen Ruine
unmittelbar abzulesen ist, findet eine dan-
kenswerte Bestätigung durch einen Brief
'Michel Angelas vo»l 17. Juni 1526 an
Fattucci in RomB) „Kommende Woche
werde ich in der Sakristei die Figuren
zudeckeu lassen, welche angefangen sind,
denn ich will die Sakristei frei lassen
für die 'Marmorarbeiter, damit sie das
andere Grabmal zil mauern anfangen
gegenüber dem, welches schon gemauert
ist. ... Ich arbeite, so viel ich nur
kann, und binnen 14 Tagen werde ich
den andern Capitano beginnen lassen.
Dann bleiben mir von wichtigen
Dingen nur die v i e r F l n ß g ö t t e r.
Die v i e r F i g u r e n aus denSarko-
phagen, d i e v i e r F i g u r e n ans der
Erde, nämlich die Flüsse, die
beiden Capitani und Unsere Liebe
Frau für das Grabinal der Front-
seite — das sind die Figuren,
d i e i ch eigenhändig a n s f ü h r e n
möchte, lind von ihnen sind sechs be-
gonnen. Und ich traue mir zu, sie recht-
zeitig zn vollenden und auch die auderii
werde ich ausführeu la ssen, >velche
weniger wichtig sind."

Dieses Schreiben, der wichtigste und satt
einzige Zeuge über den Stand der Arbeit
vor dem Ausbruch des Kriegs, bezieht
die Madonna in den Plan ein und be-

) Milanesi, Lettere, -133.
 
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