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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 26.1908

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Nr. 4
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Wunder, ...: Geschichte der kirchlichen Kunst im oberen Filstal, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15941#0048

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baut wurde. Ein ursprünglich gotijcher
Bau war auch die Wallfahrtskirche in
Dozburg, die aber im Anfang des 19.
Jahrhunderts der Aufklärung zum Opfer
fiel. Alle anderen alten Kirchen mußten
im 17. und 18. Jahrhundert Neubauten
Platz machen.

Zahlreich sind die Türme aus goti-
scher Zeit: Deggiugeu, Ditzeubach, Mühl-
hausen, Reichenbach, Westerheim, Wiesen-
steig. Auch die schwäbische Spezialität
der Turmchöre ist in dieser Gegend
vertreten in Ditzeubach, Gosbach, Neichen-
bach und früher sicher auch Deggiugeu.
Schade, daß man es hier nicht gemacht
hat wie z. B. im benachbarten Gingen
und Ueberkingen, wo man die Ostwaud
des Turmes durchbrach und Abseiten vor-
legte, wodurch man mehr Platz und nament-
lich auch mehr Licht bekam. Ein früh-
gotisches Kleeblattfenster ist noch erhalten
in Drackenstein am Westgiebel.

Die Ueberreste aus dem Mittelalter sind
also ziemlich bescheiden. Die Zeit und ihre
zerstörenden Wirkungen waren eben auch
an diesen Kirchen nicht spurlos vorüber-
gegangen. Manche waren jedenfalls auch
zu klein geworden und mußten einem
Neubau weichen. Zudem wird auch der
30jährige Krieg das Seiuige getan haben,
wie ja bekannt ist, daß die Stiftskirche
in Wiesensteig im Jahr 1648 von den
Schweden augezüudet wurde; und ein
Pfarrer in Mühlhausen spricht um 1750
von einer vollständigen 'Verwüstung des
Ortes, „ckevastatio loci".

Aus dem 16. Jahrhundert und der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, also
aus der Zeit der deutschen Renais-
sance ist gar nichts mehr erhallen, da
das einzige Kunstobjekt aus dieser Zeit,
die Kapelle im Helfensteinischen Schloß
in Wiesensteig vom Jahr 1608 am Be-
giiin des 19. Jahrhunderts mit drei
Vierteilen des Schlosses abgebrochen wurde.

Nun kommt der 3 0jährige Krieg,
der so manches herrliche Bauwerk zu
Grunde gerichtet, der deutschen Kunst un-
ermeßlichen Schaven zugefügt, ja ihr buch-
stäblich ven Todesstoß versetzt hat. Die
einheimische Kunsttradition war vollständig
durchschnitten, und als man sich allmählich
finanziell wiever erholt hatte und wieder

zu bauen begann, hatte man keine ein-
heimische Kunst und Künstler mehr;
Deutschland mußte in der Fremde in die
Lehre gehen und wandte sich, besonders
im Süden, nach dem klassischen Land der
Kunst, nach Italien. Bon dorther berief
man Baumeister unb Künstler. Italieni-
sche Baumeister haben die ersten Kirchen
wieder gebaut, und zwar in italienischem
Barock.' Bei ihnen gingen deutsche Bau-
meister, Maurer und Stuccateure in die
Schule und entwickelten dann diesen rö-
mischen Barock selbständig weiter. Es
sind dies besonders die Dreister ans dem
Bregenzer Wald: Thumb, Beer u. n.,
dann die Stnccatoren aus Wessobrunn
in Oberbayern, besonders die Familie
Schmnzer.

Hier nun setzt auch die Kunst im „Täle"
wieder ein. Von da ab geht die Entwicklung
fast ununterbrochen fort bis zum Ende
des 18. Jahrhunderts. Es handelt sich
nun darum, die zahlreichen Kirchen aus
dieser Zeit zu gruppieren. Dem oben-
genannten Stil, dem italienischen Barock,
gehören bezw. gehörten zwei Kirchen an,
nämlich die Wallfahrtskirche Dozburg
(1700) und die Pfarrkirche in Deggiugeu
(1700). Hier wären dann auch einzu-
reihen vie Kirchen von Ditzenbach (1707),
Mühlhausen (1715) unv Reicheubach
(1728), die aber wegen des fast gänzlichen
Mangels an Stuceaturen keinen so aus-
gesprochenen Stilcharakter zeigen, wie die
beiden erstgenannten. Das Aenßere dieser
Kirchen ist gewöhnlich gut geglievert, durch
hohen kräftigen Sockel, Pilaster, mächtig
ausladende Gesimse, geschmückt mit ge-
schweiften Giebeln. Im Innern herrscht
natürlich große Mannigfaltigkeit, aber
charakteristisch für diesen italienischen Barock
sind die wuchtigen, stark Herausmodellierteu
Sluccaturen mit ihren Akanthus- und
Lorbeergewinden, Frnchtschnüren, Blumen-
kränzen, Füllhörnern, Engelsfignren und
dergl. Wenn die Dozburger Kirche nach
den noch vorhandenen Zeichnungen von
1698 um- oder neugebaut wurde, so zeigte
sie, besonders i»r Innern an der Stuck-
verzierung eine ausfallende Aehnlichkeit mit
der Degginger Pfarrkirche. Die Stucca-
turen dieser beiden Kirchen erinnern leb-
haft an die in Obermarchtal und Hofen
bei Friedrichshafen. Eine Sonderstellung
 
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