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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 26.1908

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Nr. 4
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Kümmel, Konrad: Etwas über Lourdesgrotten, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15941#0052

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Felsgrotte am Fluß, umwachsen von wil-
den Rosen und Berggras; das ist kein
Ban, wie das Haus von Loreto, sondern
etwas, was rein natürlich ist, unb das
nachzuahmen erfordert gar keine besondere
Kunst und hat dabei etwas Romantisches,
etwas dem schlichten, natürlichen und kind-
lichen Sinn des Volkes Entsprechendes für
sich; es ist mit Einem Worte außerordent-
lich volkstümlich. Anno 1887 hat der Würt-
tembergische Volks- und Hanskalender einen
Aufsatz gebracht, dessen Schluß die Auf-
zählung derjenigen Orte der Diözese Rotten-
bnrg bildete, in welchen größere, allgemein
zugängliche Lourdesgrotten bis dahin er-
richtet waren; c§ waren darin über 100
Orte genannt, aber die Liste war lange
nicht vollständig. Unterdessen hat sich die
Zahl der „Lourdesgrotten" natürlich ver-
vielfacht. Zieht man von unserer Diözese
einen Schluß ans andere, ans das ganze
katholische Deutschland, attf die ganze
katholische Welt, so mag man sich mit
Recht sagen, daß die Nachbildungen der
Grotte von Lonrdes ein Gemeingut der
katholischen Christenheit geworden sind.
Es läge ja sehr nahe, au die Frage zu
rühren, welche besondere Bedeutung Lonrdes
und seine Grotte für Frankreich, das als
Nation — wenn nicht alle Zeichen trügen —
für den katholischen Glauben verloren ist,
haben könnte — aber dafür ist hier nicht
der Ort. Was dagegen in diesen Blättern
einmal besprochen werden soll, das sind
die Lourdesgrotten, itnd zivar in
ihrem Verhältnis zur christlichen
Kunst. Diese Besprechung kommt freilich
gewissermaßen post lostum, und es darf
ruhig gesagt weiden, an und für sich läge
eigentlich kein Grund vor, int „Kunst-
Archiv" die Lourdesgrotten zu behandeln,
da dieselben keine eigentlich künstlerischen
Gebilde sein wollen und sollen. Nun
zeigt aber die Erfahrung, daß bei Er-
richtung und Ausstattung von solchen
Grotten nicht bloß die dafür gellenden
natürlichen Gesetze öfters nicht beachtet,
sondern daß dabei die Grenzen oft weit
überschritten und fast barbarisch zu nen-
nende Uebergriffe ins Gebiet der Kunst
gemacht worden sind, und das dürfte doch
diese Besprechung rechtfertigen.

Wenn wir von Lourdesgrotten sprechen,
so haben wir zweierlei anseinanderzuhalten: j

die Grotten und die Statuen der
Muttergottes von Lonrdes.

Rein ästhetisch betrachtet bieten die Vor-
gänge von Lonrdes im Frühjahr 1858
eine wnnderbar schöne Harmonie von
Natur iind Uebernatur. Ein selten be-
suchter, rauher Felsenabhang, eine Art
von Doppelhöhle in halber Höhe desselben
über dem Flußnfer, eine noch ziemlich im
Winterschlaf liegende Vegetation, ein kalter,
windiger Tag — und mitten in all diesem
unwirtlichen Milieu plötzlich sichtbar die
überirdische Gestalt voll wunderbarer
Schönheit und voll schlichter Majestät:
die Jungfrau und Gottesmutter Maria.
In diesem Augenblick ist alles verwandelt:
die Felswand ist zum Altar geworden,
die unsymmetrische Grotte zum Taber-

nakel, die Zweige der wilven Rosen und
anderer Sträucher zur Dekoration, die
rauhen Uferstreifen zur Altarstnfe, der

rauschende Strom zum Chorabschlnß und
der Himmel mit den jagenden Wolken
zum Gewölbe des Heiligtums. Ein ab-
grundtiefer Gegensatz zwischen der hiirun-
lischen Erhabenheit und Schönheit der

Erscheinenden und zwischen der Umgebung,
die sie hier gewählt hat — der wilden,
rauhen Bergnatnr! Und gleichwohl eine

wundersame Harmonie voll reicher, kunst-
loser, natürlicher Schönheit, eine Har-
monie, in welcher sich Himmel und Erde,
Natur und Uebernatur die Hände reichen!
Keines Menschen Hand hat diese Stätte
bereitet; es ist die unberührte rauhe Wild-
nis, welche sich die Königin des Himmels
gewählt hat. Und bis zur Stunde ist es
so geblieben. Kein Kirchendach ivölbt sich
über denr Heiligtum und keine Künstler-
hand hat einzugreifen gewagt, um etwas
zrr ändern an der schlichten Rauheit des
Felsenaltares; ohire jedes Postament steht die
Mnttergottesstatne unurittelbar ans dem
Felsbodeu der Höhle, und ringsum wachsen
und wuchern unbehindert Gras und wilde
Rosen und andere schlichte Blumen aus
den Spalten und Nissen der Bergwand,
unten rauscht die Quelle und oben ivölbt
sich der Himmel als Kuppel über der
Stätte. DaS ist die Grotte von Lonrdes.

Und das ist, so darf gewiß gesagt
werden, auch das Vorbild und das Ideal
für die Lourdesgrotten, wo immer jolche
errichtet werden. Und daraus dürfte sich
 
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