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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 26.1908

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Nr. 9
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Naegele, Anton: Eine geistliche Apotheke in Bild und Wort, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15941#0106

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94

Auge in der Sphäre des Realen, Sinn-
lichen fest; aber vom strahlenden Nim-
bus ums Haupt des Apothekers, von
dem fesselnden himmlischen Ausdruck über-
irdischer, göttlicher Majestät und Milde in
seinem Antlitz wird Aug und Herz zum
„höheren mystischen Verstand",
zürn Uebersiunlichen, zu dem Seele und
Leib heilenden Christeuheiland hiuüber-
geführt. Von selbst lenkt sich der Blick
des Beschauers zu dem Motto hinauf,
das die ganze Szene überragt und alle
Rätsel der geheimnisvollen Allegorie mit
einem Schlage lösen soll: „Kommet alle
zu mir, die ihr mühselig und beladen
seid, ich will euch erquicken" (Matth. 11,
28). Nur in einem nebensächlichen Ge-
biet, das höchstens dem Knlturhistoriker
des Arzt- und Apothekerstaudes aufsallen
uiag, könnte mau den Realismus noch
weiter durchschimmern sehen, im Ge-
wände nämlich. Nicht jedoch in dessen
ganz antik gehaltener Schnittform und
Tragart, sondern in der Wahl der
Farben, die denen der Aerztetracht an-
gepaßt wurden und aus Tolentanzbildern
z. B. erscheinen. Von diesen Farben des
Staudeskleids singt der englische Dichter
Chaucer:

„Blutigrot und blau pflegt ersieh

anzuzieh'n.

Mit Taft gefüttert und mit Levantin." *)

Das blaue Uutergewand (Tunika?)
und das „blutigrote" über 'die linke
Schulter geschlagene Obergewand auf
unserem Gemälde scheint dies bestätigen
zu wollen, indes sind die Gründe nicht
zwingend.

Worin liegt nun das Geheimnis der
Anziehungskraft des Mittelbildes?- Ich
habe mich lauge nach Ebenbildern oder
vielmehr Vorbildern des zweifellos
bedeutenden Christusporträts umgesehen.
Ob dem Ate ist er der Klosterapotheke eine
Origiualschöpfuug von solcher Schönheit,
voll Ausdruck himmlischer Güte und Milde
zuzutrauen sein möchte? Kein Mono-
gramm, kein sonstiges Signum außer der
zerfallenden Jahreszahl war sichtbar. Ich
vermute deshalb unter dein Schleier de-
mütiger Selbstverborgenheit einen klöster-

J) Vgl. Schelenz S. 388.

licheu Autor, wenn.nicht eine kuiistgeübte
Klosterfrau, der fremder Wille oder eigene
Wahl dieNenuuug des Namens verbot — die
große Kunstfertigkeit der Wilticher Nonnen
im acupungere bezeugt dieKlostergeschichte
wie der Nest der Parameute. Wir werden
deshalb nach einem Vorbild für diese
Arbeit von immerhin seltener Originalität
uns umsehen müssen. Die größte Ver-
wandtschaft mit unserem Heiländsbild
zeigt der Dürers ch e C h r i st u s t y p u s,
bis zur täuschenden Aehnlichkeit vor allem
der Holzschnitt, den ich nur in Schells
Christus (Abbildung Nr. 29 S. 45)
reproduziert fand. In der Behandlung
des Haupthaars und Bartes, des Ge-
wands wie im Gesichtsausdruck stimmen
beide offensichtlich überein. Ueberhaupt
schimmert aus dein Antlitz des göttlichen
Heilenden etwas von der ivealeu Schön-
heit und der völligen Ruhe, die dem
Abgartypus eigen istK) Dieser ist ja
nach der neuesten umfassenden Unter-
suchung in Ernst v. Dobschützs Christus-
bildern -) vor allen andern Darstellungen
der Ausdruck des heilungsuchenden griechi-
schen Religionsbewußtseins: Heilung von
Krankheit soll das vielverehrte, sagen-
umwobene Eoessenum uns verleihen —
Abgar schrieb ja der Legende nach au
Jesus, bei: guten Arzt — es ist also
auch von diesem religionshistorischen wie
künstlerischen Gesichtspunkt aus der Typus
unseres Christusbildes von kundiger Hand
glücklich gewählt.b)

y Vgl. Detzel, Jkonogr. I, S. 78 nach Hefele,
Beitrüge zur Kirchengejch., Archäol. und Liturgie 1
S. 262 ff., ein falsches Zitat übrigens. Nach-
träglich fei hier angeführt, daß ich in dem wenig
bekannte» Salvatore Tizians in Florenz in der
Valerie der Ulticium Nr. 2821 die höchste Aehn-
lichkeit mit unserem Witticher Christus bis auf
Etnzelzüge wahrzunehmen das Glück hatte.

") Gebhardl und Harnack, Texte und Unter-
suchungen St. F. 3 (1899h, S. 294.

3) Sehr ähnlich ist der Christuskopf in Hal-
tung, Ausdruck und Haarbildung auch deui nieder-
ländischen Typus, wie ihn Quinten Matjys aus-
geprägt hat (Vgl. Bildertafel s. v. Chrislus-
vilder in Herders Konvers.-Lex. II3 1903 S. 735).
Doch glaubte ich nach einem Besuch in de» Of-
fizien zu Florenz im Jahr der Drucklegung des
längst versaßlen Essays die meiste Verwandt-
schaft meines Klosterapothekchristus entdeckt zli
haben in Tizians Salvatore (Galleria degli
Uffici Num. 2821). Leider ist dieses herrliche
 
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