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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 27.1909

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Nr. 1
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Baur, Ludwig: Katholische Kirchenkunst und moderne Kunst, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15942#0010
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Seite stark angewachsen istJ), einiger-
maßen verfolgt hat, der wird auch öfter
der bald mehr, bald niinder energisch
ausgesprochenen Forderung begegnet
fein,- daß auch die kirchliche Bau-
kunst diese m ni o d e r n e n Zuge
folgen und au Stelle der bisher üb-
lichen sogenannten Stile oder Bau-
weisen etwas anderes, Neues setzen müsse.
So sagt einer der zweifellos bedeutendsten
Architekten der Neuzeit, Otto Wagner
in Wien2): „Die Wahrnehmung, daß
manche architektonische Aufgabe, z. B.
der Kirchenbau, heute die gleiche zu sein
scheint wie vor Jahrhunderten, während
andere Aufgaben neuesten Dalums sind,
hat große Jritümer gezeitigt. So kommt
es, daß Laien und leider auch viele
Architekten der Anschauung sind, daß bei-
spielsweise ein Parlament griechisch, ein
Telegraphenamt oder eine Telephon-
zentrale aber nicht gotisch gebaut werden
könne, während sie eine Kirche direkt in
letzterem Stil verlangen. Sie vergessen
alle hiebei nur eines, nämlich daß die
Menschen, welche diese Gebäude frequen-
tieren, alle gleich modern sind und daß
es weder Sitte ist, mit ■ nackten Beinen
im antiken Triumphwagen am Parlament
vorzusahren, noch mit geschlitztem Wamse
sich der Kirche oder einem Rathanse zu
nähern." Und: „Der Architekt kann in
die volle Schatzkammer der Ueberlieferung
greifen. Bon einen: Kopieren des Ge-
wählten kann aber keine Rede sein, son-
dern er muß es durch Neugestalten uns und
dem Zwecke aupassen oder aus der Wir-
kung der bestehenden Vorbilder die von
ihm beabsichtigte Wirkung herausfinden 3)."

Angesichts solcher Forderungen müssen
wir umsomehr zu einem Urteil in dem
Streit der Meinungen zu kommen suchen,
als Strzpgowski in seinem Werke
„Die bildende Kunst der Gegenwart"
(S. 23), wenn auch vielleicht etwas zu
stark-und übertreibend, bemerkt: „Ein
Gotteshaus in einer zügellos individuellen
Manier erbaut, entzieht der Kirche mehr
von ihrem Boden, als Häckels Welträtsel."

0 Die wichtigste Literatur bei Gur litt,
Kirchen, S. 81, Anm.-55.

") Otto Wagner, Moderne Architektur, !
3. A., Wien 1902, S. 59.

3)- Ebendas. S. 66.

. Es mag zur Klärung des folgenden
dienen, wenn wir wiederum zu allererst
die Basis festzustellen versuchen, die den
Grund für die weitere Untersuchung ab-
geben muß.

1. Alan darf es als eine allgemein
zugestandene Tatsache bezeichnen, daß die
Kirche autoritativ weder die eine oder
die andere Stilart anbefiehlt oder auch
nur bevorzugt. Selbst das Provinzial-
konzil zu Prag vom Jahre 1860, unseres
Wissens das einzige, das sich mit dieser
Frage beschäftigte, gab nur die allgemeine
Direktive: Kreuzform der Kirche! und
„die Bischöfe .... sollen darauf achten,
daß. nicht eine Bauform sich einschleiche,
die dem Geiste der katholischen Religion
zuwider ist und daß die Ausschmückung
des Gotteshauses nicht durch die un-
heiligen Erfindungen von unerfahrenen
und gewissenlosen Künstlern verunziert
werde". — Von dieser Seite aus steht
also einer etwaigen Neubildung in den
architeklonischen Formen nicht das mindeste
im Wege. — Es ist ein sehr weitgehender
Kreis, der vom jüdischen Obergemach oder
dem privaten Saal des römischen Hauses
zur Basilika, zum romanischen Münster,
zum gotischen Dom, .zur Renaissance führt.
Warum sollte er nicht umfangreich genug
sein, um auch für einen Stil der Zukunft
— wenn es einen solchen gibt oder geben
wird, Platz zu haben.

Und doch bleibt das Wort Strzy-
gowskis in der Hauptsache zu Recht be-
stehen. Der Kircheubau muß von einem
bestimmten Geiste getragen sein. Wenn
in der neueren protestantischen Literatur
die Forderung des protestantischen Charak-
ters des KirchengebäudeS erhoben wird,
so entspricht dies ganz und gar der Sache.
„Ein evangelischer Kircheubau soll ein
Gebäude sein," sagt I o h. Ficker,
„das vor allenr die evangelische An-
schauung zum Ausdruck bringt durch
die Einheitlichkeit des gottesdienstlichen
Raumes >)."

Ein katholischer Kircheubau wird in der
Anlage, rn der Ausstattung, in der Aus-
schmückung katholischeir Charakter au sich
tragen müssen. — Das wird sich geltend

1) Joh. Ficker, Evangelischer Kirchenbau,

| Leipzig 1905, S. 6...
 
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