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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 27.1909

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Nr. 1
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Hefele, Karl: Aus den Anfängen eines alten Benediktinerklosters: (Disentiser Ausgrabungen)
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Aus den Anfängen eines alten
Benediktinerklosters.

(D i s e n t i s e r A u s g r a b u n g e u.)

Von Stadtpfarrer Karl Hefele, Urach.

Von einem knnstgeschichtlich wie kirchen-
geschichtlich interessanten Fund auf Schwei-
zerboden machen der Basler Archäolog
E. A. Stückelberg x) und der Züricher Kunst-
historiker I. N. Rahn^) weiteren Kreisen
Mitteilung.

Bekanntlich ist das Kloster Disentis
im Graubündner Oberland das älteste
unter den noch bestehenden Klöstern der
Schweizer Benediktinerkougregation. Wäh-
rend so manche gleichzeitige oder ältere
Stiftungen, wie St. Gallen, der Mißgunst
der Zeiten zum Opfer fielen, steht die
Abtei an den Quellen des Vorderrheins
noch da, fest und unentwegt wie die Berge,
die sie umgeben. Was wir au geschicht-
lichen Nachweisen über diese Stiftung des
irischen Mönches Sigbert, des Begleiters
des hl. Kolumban, besitzen, ist freilich nur
wenig und späten Datums. Alles, was
in Jahrhunderten die fleißige Hand der
Mönche ausgezeichnet und pietätvoll ge-
sammelt hatte, ist bei wiederholten Kloster-
bränden und -Plünderungen vor allem in
den Jahren 1387, 1514, 1621 und zuletzt
1793 zugrunde gegangen. Im Mai des
letztgenannten Jahres wurden durch fran-
zösische Truppen Dorf und Kloster schonungs-
los geplündert und schließlich irr Brand
gesteckt. Klosterarchiv und -bibliothek
rvie das Archiv des Dorfes und der
Pfarrei Disentis wurden ein Raub der
Flammen — ein geradezu unersetzlicher
Verlust, den der Disentiser und Bündner
Geschichtsschreiber wie der rätoromanische
Literaturhistoriker gleich schmerzlich be-
klagen müssen.

Nach einem nur noch abschriftlich er-
haltenen Auszug aus den verlorenen aus-
führlichen Klosterannalen fällt die Kloster-
gründung ins Jahr 613. 630 stirbt der
Schüler und vornehmste Mitarbeiter Sig-
berts, der hl. Plazidns, als Märtyrer;

0 Baller Zeitschrift für Altertruiiskuirde,
Baud VI, S. 429 ff. und Band VII, S. 220 ff.

2) „Neue Züricher Zeitung" 1907 Nr. 349—351,
Feuilleton.

3) Vgl. Theodor v. Moor, Regesten der Benc-
diktinerabtei Disentis, Chur 1853.

636 Sigbert selbst. 670 wird das Kloster
durch die Hunnen zerstört und Abt Adalbert
j mit vielen Mönchen getötet; im Anfang
1 des 8. Jahrhunderts (717) aber wird durch
Karl Martelt ein Klosterneuban augeordnet
und gleichzeitig mit diesem erstehen unter
Abt Urfizinus (seit 754 auch Bischof von
Chur) 3 Kirchen x).

Immer wieder hat man diese uralten
Klosterlraditioueu, namentlich soweit sie ins
7. Jahrhundert zurückwieseu, angefochteil
und als Geschichtsquelle mitleidig lächelnd
zur Seite geschoben. Was haben nun
aber die neuesten Ausgrabungen in Disentis
ergeben?

1896 hatte mau die einzige alte, bis
in die neueste Zeit erhaltene Lstullergottes-
I kirche im Norden der Klosteranlage ab-
gebrochen und durch einen Neubau (kou-
sekriert 1899) ersetzt. Stehen geblieben
waren nur die drei Apsiden. Parallel uiit
diesem Gotteshaus, ebenfalls geostet, eben-
falls einschiffig mit drei Apsiden — deren
größte in der Mitte — stand eine zweite
Kirche, nach der Ueberlieferung dem
hl. Martinus geweiht. Die dritte, von
der die Tradition spricht, die Peterskirche,
dürste im Westen gelegen gewesen sein.
Die Tatsache mehrerer gleichzeitiger Kirchen
also, wie sie nicht selten bei älteren Kloster-
anlagen sich findet, ist nun auch in
Disentis für das 8. Jahrhundert in
Ueberresten nachweisbar.

Im Sommer 1906 brach man, um
Bausteine zu gewinnen, die äußeren Mantel-
mauern der drei Apsiden der Martiuskirche
ab. In denselben fand mau eine große
Anzahl von Slukkofiguren und -oiua-
menlen, die unbestreitbar dem Ende des
7. oder Anfang des 8. Jahrhunderts au-
gehöreu; auch Bruchstücke einer Bionze-
glocke des vor- oder frühromanischen Typs
kamen zutage.

Eine zweite Ausgrabuugskampague be-
gann ini östlich gelegenen Klosterhof im
Mai 1907 und eine überaus reiche und
mannigfaltige Ausbeute hat die Arbeit be-
lohnt. Die in ihren Fundamenten nun bloß-
gelegte einschiffige Martinskirche mit drei
hufeisenförmigen Apsiden ist in der Tat
ein Bauwerk des 7. oder 8. Jahrhunderts,

0 Vgl. Joh. Gg.,Mayer, Geschichte des Bis-
tuins Chur, Staus 1907, S. 64.
 
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