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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 27.1909

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Nr. 9
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Effinger, Franz Xaver: Das Münster zu Ulm, [2]: nova et vetera
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https://doi.org/10.11588/diglit.15942#0102

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91

19. Jahrhunderts. Am 19. und 20. Juni
1530 wurde das Innere der Kirche von einem
vandalischen Bildersturm heimgesucht, dem
50 Altäre mit zahlreichen Kunstwerken zum
Opfer sielen, die beiden Orgeln wurden
mit Pferdegespann demoliert, die Holzteile
den Armen als Brennholz zugewiesen.

Jnl zweiten Teil des Textes gibt
Pfleiderer zu den einzelnen Tafeln mit
Abbildungen sachkundige Erläuterungen,
ans denen Nachstehendes hervorgehoben
sei. Die Kanzel, ein Steinbau auf kelch-
artig sich ausbreitender Säule, stammt
ans dem Jahre 1499. Der Schallveckel
aus Lindenholz, eine der herrlichsten
Schnitzarbeiten des Mittelalters von Jörg
Syrlin 1510, enthält oben eine Miniatur-
kanzel als Symbol für den göttlichen
Prediger, den Heiligen Geist.

Auch das Weihwasserbecken an
einer Säule im südöstlichen Langhaus
dürfte von dem jüngeren Syrlin stammen.
Das herrliche Sakramenlshäuschen, ein
Seitenstück zu Adam Krafts Meisterwerk
in Nürnberg, wurde wohl gleichzeitig mit
der Einwölbung des Hauptschiffs (ca. 1470)
ferliggestellt. Wer der „Meister von
Wingarten", der in den Akten einmal
mit dem Kunstwerk in Verbindung ge-
bracht wird, geivesen sei, ist bis jetzt nicht
bekannt geworden.

Der berühmte Dreisitz beim Eingang
in den Chor ist ein Werk des älteren
Syrlin vom Jahre 1468, ebenso wie das
herrliche Charge st ü hl, das der Künstler
in den Jahren 1469 — 1474 um das Ge-
samlhonorar von 1188 Goldgnlden her-
stellte. Es ist dieses Werk eine „Welt
für sich, voll Schönheit und Geist, die
nicht auszugründen und auszuschöpfen ist".
In drei Bilderreihen übereinander sehen
wir unten Sibyllen und heidnische Weise,
in den Dorsalen Männer und Frauen des
Alten Testaments, in den Giebelfeldern
oben heilige Männer und Frauen des
Neuen Testaments. Was Michelangelo in
der Sixtina in Farben dargestellt, das hat
der ältere Syrlin in seinem Chorgestühl
in großzügiger Auffassung zu künstlerischer
Darstellung gebracht: Es tritt uns der
große Gedanke entgegen, wie das Heil
von den Heiden geahnt, dem Alten Testa-
ment verheißen, der Kirche des Neuen
Testaments geoffenbart und verliehen ist.

Es ist in der Tat eine Enzyklopädie der
göttlichen Offenbarung. Glücklicherweise
sind die Bildwerke des Chorgestühls im
Bildersturm nur wenig beschädigt worden.
Was sonst an religiöser Malerei und
Skulptur vorhanden ist, wurde beim
Bildersturm dadurch gerettet, daß einzelne
Familien ihre Stiftungen in Sicherheit
brachten und später dem Münster über-
ließen, so der Hochaltar und die Altäre
in der Neithart-Kapelle.

Das jüngste Gericht über dem
Chorbogen ist nicht bloß das größte
Freskobild (145 Quadratmeter Flächen-
inhalt), welches daZ Mittelalter uns hinter-
ließ, sondern auch eine der großartigsten
Darstellungen deS Gegenstandes überhaupt.
Rechts unter dem Bilde ist die Jahreszahl
147 l deutlich zu lesen. Das Bild wurde
im Neformationsjubeljahr 1817 übertüncht
und im Jahre 1880 wieder aufgedeckt.
Bei der Wiederherstellung sind indessen
die Farben viel zu malt ausgefallen. Der
Meister des Bildes ist nicht bekannt. —
Aenßerst wertvolle Schätze birgt endlich
noch der Chor in seinen gemalten Fenstern,
die hinsichtlich ihrer Farbenpracht den
Höhepunkt mittelalterlicher Glasmalerei
darstellen. Als Meister der zwei Pracht-
fenster wird Hans Wild genannt. Her-
stellungszeit 1480.

Eine Geschichte der Nestauration und
Vollendung des Münsters in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts wollte der
Verfasser in diesem Werke nicht geben,
sondern begnügt sich mit kurzer Anführung
der in Betracht kommenden Personen und
Daten. Bezüglich der auf Böblingers
Riß vorgesehenen Madonnenstatue wird
bemerkt: „Von der Krönung mit einer
Madonnenstatue ist für ein evangelisches
Gotteshaus niemals auch nur einen Augen-
blick die Rede gewesen." — Aber man
betet protestantischerseits doch auch noch:
„Geboren aus Maria der Jungfrau."
Zum Schluffe sei der Wunsch ausgedrückt,
daß das tüchtige Werk Psteiderers in den
Bibliotheken recht zahlreicher Kunstfreunde,
namentlich auch von Landkapiteln, einen
Platz finden möge. Das Ulmer Münster
ist vielfach nicht so bekannt und gewürdigt
wie seine Konkurrenten in Köln, Straß-
burg, Freiburg usw. Und doch sagt der
Prager Kunsthistoriker Joseph Neuwirth
 
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