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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 28.1910

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Nr. 3
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Reiter, Joseph: Einiges über Gewölbeschlußsteine, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16250#0036

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22

löser genannt, dann Maria, dann der
Kirchenpatron und hierauf die Neben -
Patrone. Dieses Gesetz spiegelt sich nun
vielfach wider in der Aufeinanderfolge
der bildlichen Darstellungen bei den
Schlußsteinen: ans denr ersten über dein
Hochaltar ein Bild Christi (Veronikabild,
Lamm Gottes usw.), ans dem zweiten
Maria, auf dem dritten der Kirchenpatron,
auf denr vierten der Nebenpatron. An
letzter Stelle ist oft das Wappen des
weltlichen Patrons angebracht. An der
Stiftskirche in Tübingen seheil wir das
genannte Gesetz teilweise außen an der
Nordseite angewendet, sofern in beit
Fenstern, von Osten nach Westen, die
Figuren von Maria, Georg und Martin
aufeinander folgen. Eine merkwürdige
Ausnahme von der Regel weist die Pauls-
kirche in Eßlingen auf: dort ist im
Westen das Bild Christi, an welches sich
dann ans den folgenden Schlußsteinen
die Figuren von Maria, Petrus, Seba-
stian (?) anschließen. In dem Seitenschiff
der Spitalkirche in Horb ist ebenfalls
gegen Westen ein Christnsbild (Abgarbild)
angebracht. In Eßlingen dürfte die Um-
kehrung der Ordnung mit der späteren
Eingewölbung des Schiffs zusammen-
hängen. — Noch ein Blick auf die bckd-
lichen Darstellungen selbst, zu welchem
Zweck wir einige besondere Steine aus-
lesen wollen.

Sehr häufig grüßen uns von den
Gewölbeschlnßsteinen herab herrliche Wap-
pen: Wappen des Reiches, des Landes,
der Grnndherrschaften, der Bischöfe und
Siebte, auch Wappen der Patrizierfamilien.
So erhielten verschiedene wohltätige
Patrizierfamilien in Frankfurt (Der
Kaiserdom in Frankfurt a. M. von
Karl Wolfs) das Recht, ihre Wappen in
den Schlußsteinen der Gewölbe anbringen
zu lassen: ihre Zuwendungen halfen den
Bau wesentlich fördern und sollten in
der Höhe dankbare Anerkennung finden.

Ueberaus reich an Gewölberosen
ist die Heiligkrenzkirche zu Rottweil. Wir
sahen dort mehrere Veroniken, St. Anna
Selbdritt, Katharina, Barbara, Apollonia,
Sebastian und andere Heilige. Außer
ihnen erblickt man noch verschiedene Spin- '
bole, und ans einem Schlußstein glauben
wir auch drei Schiffchen bemerkt zu haben.

Nach Horaz (Carm, 1. 12.) bedeutet das
Schiff den Staat und die Stadt Nom,
in Rottweil mögen die Schiffchen das
Schiff Noas, das Schiff Petri und das
Schiff der Kirche, oder auch das Schiff
des Lebens bedeuten. — Einzelne Kirchen
besitzen Schlußsteine, in deren Mitte eine
Oeffnnng angebracht ist (Creglingen,
Maulbronn, Ebrach usw.). Solche
Oeffnnugen mochten oft praktischen Zivecken,
Zwecken der Lüftung u. dgl. dienen.
In Ebrach war in den betreffenden
Schlußstein eine Uhr eingesetzt. Nach-
weisbar religiösen Zwecken bteute die
runde Oeffnnng in dem Schlußstein der
Klosterkirche zu Maulbronn. Dort hatte
man für jedes Marienfest des Jahres
eine besondere Holzscheibe mit einer ent-
sprechenden Malerei vorrätig, so daß man
durch Einsetzung einer solchen Scheibe
das jeweilige Marienfest ankündigen
konnte. Durch jene Oeffnnng in dem
Schlußstein wurde am Feste Mariä Him-
melfahrt auch eine Puppe, Maria dar-
stellend, hinaufgezogen zur Zeit, als die
Aufführung geistlicher Dramen innerhalb
der Kirche noch gestattet war. Ebenso
mochte dort, wie anderwärts, die Herab-
kunft des Hl. Geistes usw. unter
Benützung der Schlußsteinöffnnng vor
Augen geführt worden sein.

In der Brunneukapelle zu Maulbronn
ist auf dem großen Schlußstein ein Adler
zu sehen und um ihn herum die Schrift:
Anno domini MDXI foderunt in
torrente et repiererunt aquam vivam
Gen. XXVI. Wie ist dieser Adler auf-
znfassen? Haben wir ihn als Sinnbild
der Verjüngung zu betrachten, insofern er
nach dem Phpsiologus des Mittelalters
den znsammengewachsenen Schnabel an
einem Felsen wieder wetzt und in einem
Jungbrunnen sich verjüngt? (In der
Brunnenkapelle zu Bebenhaufen das Bild
des hl. Johannes des Täufers.)

Eine höchst interessante figürliche Dar-
stellung trifft man im Chor der Stifts-
kirche zu Wimpfen im Tal und in der
Sakristei der katholischen Kirche da-
selbst. Die betreffenden Schlußsteine zeigen
einen Menschenkopf mit zerzausten Haaren
und schmerzlichen Gesichtszügen, die
Lippen zu schmerzlicher Klage geöffnet.
Diese Figuren, Wibpin genannt, sollen
 
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