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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 28.1910

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Nr. 12
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Schöninger, Artur: Wanderungen durch neue und erneuerte Kirchen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16250#0137

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115

Reihen in der evangelischen Garnisons-
kirche. In den gemalten Fenstern des
Chors begegnen uns einige Kontraste.
Das Mittelfenster von Lünnemann ganz
archaistisch tu Technik und Darstellung,
die neueren Seitenfenster mehr nach
unserem Empfinden. Zettler in München
hat bet aller Wahrung der zutreffenden
Formen Neues neu dargestellt, nicht Neues
in veraltetem Gewand. Die Schätze der
Sakristei und Paramentenkammer haben
wir hier nicht zu schildern; es entspricht
auch hier alles den Absichten des Schöpfers
des Ganzen, des Herrn Direktors Meckel.

Nun möge es gestattet sein, einen
Vergleich anzustellen zwischen dieser neuen,
schmucken, einheitlichen Kirche und der
alten, ehrwürdigen, aber fast radikal er-
neuerten Liebfrauenkirche in
Ravensburg. Wir haben vor kurzem
eure Abbildung der Frauenkirche ans der
Mitte des vorigen Jahrhunderts gesehen,
als noch das ungeheure Dach die zwei
süölichen Seitenschiffe bedeckte und der
Ban im Aenßern fast so schlicht wie
St. Jodok aussah. Schlicht und einfach,
aber fast monumentaler, und jedenfalls
ruhiger, wie jetzt, ist die Breitseite hin-
gelagert. Das Architekturbild ist jetzt
freilich reicher durch die Durchführung der
basilikalen Gliederung, durch die Walm-
dächer der Seitenschlffjoche, durch den
Zwergtnrm und die Beichtkapelle mit
kleinem Polygonchörchen. Ob alles der
ursprünglichen Anlage entspricht, ist recht
fraglich. Der sonstige sehr einfache archi-
tektonische Charakter der Ravensburger
Bauten spricht nicht dafür, wenn auch
an der Frauenkirche selber am Haupt-
portal, an dem alten Cmporeunlerban
und am Sakramentshaus reichere Stein-
metzarbeit sich findet. Meister Cades hat
nach den Intentionen seiner Auftrag-
geber eine fast ganz neue Kirche geschaffen,
neben welcher nur der fast trotzige alte
Turm (jetzt auch frisch gestrichen) mit
seinen vier Giebeln ein Zeuge der alten
Einfachheit ist. Fast -hätte man ihm
auch einen neuen Spitzhelm aufgesetzt und
ihn um sein Charakteristikum gebracht.

Auch im Innern haben sich gewaltige
Veränderungen vollzogen. Es muß jedem
Besucher anffallen, daß, außer dem alten
Chorgestühl, auch fast gar nichts von

den früheren Ansstattnngsgegenstünden
geblieben ist. Da sind nicht bloß alle
Barockaltäre verschwunden, auch ihre Nach-
folger ans der Mitte des 19. Jahrhunderts
mußten weichen, und alles, alles ist neu von
der Orgel bis zum Hochaltar. Aberhalt,
dort winken und blinken alte Fenster mit
farbenprächtiger Glasmalerei, und wir
sind etwas beruhigter. Ruhig betrachten
wir die Hallen, die Gewände, die Decken
und suchen uns znrechtzufinden. Ein
großes Mosaikbild über dem Chorbogen
fesselt unfern Blick, und so wir das Glück
haben, eine günstige Beleuchtung zu
treffen, sind wir von ihm befriedigt und
entzückt. Und zu dem Bilde zieht sich
an den Wänden des Hochschiffs eine
Statuengalerie von herrlichen Gestalten.
Der Zug zum Bilde und zum Chore wäre
noch deutlicher geworden, wenn diese
Reihen in Bewegung dargestellt worden
wären. Welch ein Gegenstück ist aber
diese Heiligenreihe zu der in der Ulmer
Garnisonskirche! Wie ungleich mehr
Empfindung Ntid Ausdruck liegt in diesen
Gestalten. Ernst und würdig sind sie alle
auch, aber fern von allem archaistischen
Zwang und dnrchgebildet mit feinem künst-
lerischen Erfassen. Hierin steht die Ravens-
burger Bemalung turmhoch über der
Ulmer.

Die neuen Fresken des Chors sind in
diesen Blättern vor kurzem gewürdigt
worden. Es sind neue Wege, die da
eingeschlagen wurden, und der sie ein-
schlng und geht, schreitet gewaltig voran.

Aber auch die, welche die Dekoratioil
dieser monumentalen Kirche übernommen
hatten, sind neue Wege gegangen. Ab-
gesehen natürlich davon, daß bei denl
srühgotischen Charakter des Ravensbnrger
Gotteshauses die Formen der Spätgotik
riicht angezeigt waren, ist diese Formen-
welt, in welche Schiller und Ostermaier
sich eingearbeitet haben, eine ganz andere,
als man bisher so laridläusig gewohnt
war. Das sind keine Entlehnungen ans
Dekorationswerken, sondern fast alles ist
von den beiden Meistern durch- und
ausgedacht. Man mag nun die Behand-
lung der Holzdecke oder die Ziselierung
der Gewölbefelder in der Beichtkapelle
betrachten, überall finden wir den origi-
nalen Charakter.
 
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