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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 29.1911

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Nr. 10
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Baur, Ludwig: Einige kritische Randbemerkungen zur Ausstellung kirchlicher Kunst Schwabens und zur Generalversammlung des Diözesankunstvereins (1911), [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16251#0112
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101

„Neuheit" des neuen Stils ist 51111t
Teil bedingt von veränderten modernen
Konstrnktionsmitteln und -Methoden.
Die an sich ganz diskutable und certis
limitibus berechtigte Forderung male-
rischer Gruppierung läßt sich protestan-
tischerseits insofern leichter durchführen,
als es sich meist um Kirchen in iveit
kleineren Verhältnissen handelt, als bei
den katholischen Kirchenbanlen. Gurlitt
hat in seinem Werk über „Kirche" schon
zahlenmäßig festgestellt, daß die Zahl der
Kirchenbesncher prozentual total verschieden
ist bei Katholiken und Protestanten. Wäh-
rend Theodor Fischer bei seiner Kirche
für Steinbach 270 Sitzplätze rechnete,
wären für die gleichen Verhältnisse katho-
liseherseiis 6 0 0 zu rechnen. Diese nähmen
zudem wegen der bei uns notwendigen
Kniebänke einen weit größeren Flächen-
ranm ein als bei protestantischen Kirchen-
anlagen. — Die malerischen (Damit zu-
gleich mehr willkürliche») Grundrißanlagen
schließen die Massivwölbnng vielfach ans,
so daß nur Rabitz- oder Monierdecken
in Belracht kommen können. Strebe-
spsteme, wo solche nicht zu umgehen sind,
werden in Eisenbeton, die Dachbinder
meistens in Eisenkonstrnktion ansgeführt.
Das sind aber recht teure Dinge. Daher
kommt es, daß für diese an sich kleinen
Kirchen verhältnismäßig große Kosten
entstehen, die sich bei unseren auch bei
Kirchen ans dem Dorfe in weit größeren
Ranmverhältnissen notwendig ansznfüh-
renden Bauten so sehr steigern, daß die
Ausgaben gegen den höchst fraglichen „Ge-
winn" eines dem „vorbildlichen" prote-
stantischen Kirchenbanstil nachgeahmten
Bauwerks im Mißverhältnisse stünden.
Die Erfahrungen, die man mit einem pro-
testantischen Kirchenban in Württemberg
gemacht haben soll (man spricht von
200 000 Mark Ueberschreilnng), sind so
reizend, daß sie nicht zur Nachahmung
leizen. — Bei uns handelt es sich darum,
bei möglichst geringem Aufwand möglichst
viel Raum zu schaffen, der dem katho-
lischen Kirchenban und dem Geist der
katholischen Liturgie möglichst adäquat ist.
Daß dabei „die Bildwirknng" nach außen
etwas zu kurz kommen muß, ist eben
nicht abzuwenden. Denn alle diese, den
Kontrast gebenden Querbanten und Bogen-

hallen, die zudem das Licht rauben, sind
ein teurer Spaß für unsere katholische
Bevölkerung, speziell unsere Arbeiterbe-
völkernng. (Alan wird ja nie müde, uns
immer wieder zu Gemüt zu führen, daß
wir Katholiken weniger Geld im Beutel
haben als andere Leute.)

Gegenüber den l,5 Meter breiten
Mauern altir Barockkirchen müssen wir
uns (aus pekuniären Gründen) mit
Mauerstücken von 0,4 und 0,5 Meter
begnügen. Das läßt sich nur durchführen
in festem Material. Dazu kommt, daß
der Ausgleich zwischen geringen Geld-
mitteln und immer größer werdender
Ranmfordernng ganz notwendig von un-
seren katholischen Architekten darin gesucht
werden mußte, daß sie anstatt der mittel-
alterlichen Massivgewölbe zu modernen
Scheinkonstrnktionen greifen mußten;
ebene Decken konnten nicht in Betracht
kommen, da sie sich bei breiten Schissen
nicht gut machen. Sie haben also so
gebaut, wie es den realen Verhältnissen
der Raumbedürfnisse und den Erforder-
nissen der katholischen Liturgie einerseits,
den vorhandenen Geldmitteln anderseits
entsprach, und jeder, der die Entwicklung
des katholischen Kirchenbans in Württem-
berg in seiner Genesis und seinen Werde-
nrsachen verfolgt, wird Männern wie
Egle, Pohthammer, Endes und anderen
die Achtung nicht versagen, und die An-
erkennung dafür, daß sie manche sehr
glückliche konstruktive Grundriß- und
Anfrißlösnngen gefunden haben, welche
ans unsere Bedürfnisse genau zugeschnitten
nun eit. Darum empfinde ich wenigstens
es als ein objektives Unrecht, daß man
diese Bauten ganz im Sinne des durch
Professor Theodor Fischer vom Kon-
sisloiium herbeigcführlen Beschlusses aus-
geschlossen und so den Eindruck geschaffen
hat, als bestände eine ganz ungeahnte
Snperiorität des protestantischen gegen-
über dem katholischen Kirchenban. Das
Bischöfliche Ordinariat ist ja hierüber
gutachtlich wohl nicht befragt worden,
denn es ist anzunehmen, daß es diesem
Beschluß des Konsistoriums wenigstens für
die katholischen Kirchenbanten nicht bei-
getreten wäre.

Ich sagte vorhin, daß der „nachahmens-
werte neue" protestantische Baustil in den
 
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