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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 29.1911

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Nr. 11
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Marmons neue Passionsskulpturen, [1]
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Schäfer, ...: Nochmals das Altshauser Reliquiar
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https://doi.org/10.11588/diglit.16251#0121

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110

In der Tat kennt die ältere, christliche
Kunst wie die Literatur jenen Typus über
ein Jahrtausend lang nicht. Noch der
hl. Vonaventura läßt in seiner Schil-
derung der Passion Maria das Haupt
Jesu auf ihrem Schoß halten. Ja, das
griechische ZN ater b n ch v o m Ber g
Atho s beschreibt den bei der Kreuzab-
nahme Jesu möglichen Vorgang fast
genau, wie ihn unsere modernsten Meister
wieder in Aufnahme gebracht haben:
Vöcklin und Feuerbach mit dem Pinsel,
unser schwäbischer Landsmann in Ho-
henzolleru, Marmon, mit gestrengem
ZNeißel. (Auch die herrliche Marmorpieta
I. v. Kopfs in Stuttgart (Marieu-
hospitalj ist uach diesem ZNotiv gebildet.)
Es heißt in jener Anweisung für die
christlichen Maler Der griechisch-orthodoxen
Kirche: „Ein viereckiger großer Stein.
Und auf demselben ist ein Tuch ausge-
breitet. Und auf diesem liegt Christus
uacft nuf dem Rücken und die Heiligste
kniet über ihm und küßt sein Angesicht" ch.
Wie wird der Schöpfer der modernsten
Pieta erstaunt sein zu hören, daß er un-
bewußt aus frühmittelalterliche Tradition
zurückgegaugeu ist mit seiner von ge-
sundem Realismus eiugegebeueu Auf-
fassung, und werden angesichts dieser
historischen Begründung etwaige Klagen
oder Bedenken von Beschauern darum
bald schwinden müssen!

Erst Cim a bue, Gioltos Lehrer, scheint
den Anfang mit der weicheren, nicht
immer gefühlvolleren Darstellung Jesu
Leichnam auf dem Schoß Mariä gemacht
zu haben: in der Oberkirche des heiligen
Franziskus zu Assisi hat er eine solche
Pieta gemalt. Von der Herbe, Gelassen-
heit und Asfektskonzeutration in jenen
Frühschöpfungeil der italienischen Renais-
sance verspüren wir wohl alle einen Hauch in
unserer Marmonschen Pieta. Möge sie auch
in ihrer Art das schöne Wort DankosH
über Pietadarstellungeu bewahrheiten hel-
fen: „Was wäre der Menschheit ohne
dieses Bild verloren gegangen! Was ist
es durch alle Zeiten für eine stillgewaltige
Predigt gewesen! Können wir uns

') Vgl. Schäfer, Handbuch der Malerei vom
Berg Athos 1855 S. 206. Debet, Ikonographie 1
S. 436.

2) Tübinger Theol. Quart. 1878 S. 507.

darum wundern, daß die bedeutendsten
Meister diesen Gegenstand behandelt und
Werke von unvergleichlicher Schönheit ge-
liefert haben?"

(Schluß folgt.)

Nochmals das Altshauser
Reliquiar N

Von Pfarrer a. D. Schaefer, Horb a. N.

Jil Irr. 4 des „Archivs für christliche
Kunst" vom Jahre 1910 wurde das
interessante uno trefflich erhaltene Reli-
qniarium in der Pfarrkirche — einstige
Deutschordenskirche — zu Altshanseu hin-
sichtlich seiner Form, Größe wie seines
Zier- und Bilderschmucks eingehend be-
schrieben, ohne des näheren aus das Aller
oder die Entstehungszeit desselben einzn-
geheu. Darüber wurde nur kurz bemerkt,
daß besagtes Reliquiar wahrscheinlich ans
dem Enöe des 13. oder Anfang des
14. Jahrhunderts staininen dürfte. Diese
Datierung wurde angenommen, nur be-
treffend die Entstehung dieses seltenen
Kunstgegenstandes ja nicht zu hoch zu
greisen, beziehungsweise sicher zu gehen,
besonders deshalb, weil die romanische
Stilperiode bezüglich des Anfangs und
Ansgangs — zumal in den verschiedenen
Ländern — au verschiedene Daten geknüpft
ist, was besonders für die Kleinkunst
vielfach zntrifft. Um nun aber zu einer
begründeten Datierung des Altshauser
Reliquiars zu gelangen, wurden auf ge-
wünschte Anregung hin vergleichende
Studien gemacht, und dürfte, gestützt ans
dieselben, fraglicher Reliqnieubehälter eher
eine Arbeit des 12. bis 13. Jahrhunderts
sein.

Fassen wir vor allem das Reliquiar
nach seiner Form, den Ornamenten und
Bildern ins Auge, so kann mit Sicherheit
gesagt werden, daß dasselbe jedenfalls der
erlöschenden romanischen Stilperiode an-
gehört. Wie schon früher bemerkt, hat es
die seit der romanischen Zeit typische Reli-
quiarform, nämlich ein Schrein oder Sarg
mit aufgesetztem Dach, oder, wie es in
alten Verzeichnissen heißt, ein viereckiger

0 Aus der einschlägigen Literatur ver-
gleiche man: St. Beisfel, Die Verehrung der
Heiligen und ihrer Religuiare, und 4. St icke l-
berg, Reliquien und Reliquiare.
 
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