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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 29.1911

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Nr. 12
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Marmons neue Passionsskulpturen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16251#0129

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Plastiker der Hochrenaissance erreicht haben
dürften! Das Ecce homo des Pi lat ns
nnd das Fcce mater des Welterlösers
hören wir im machtvollsten Akkord ver-
eint aus diesem Doppelporträt eigenster
Art Ohr'und Herz entgegentönen, ein
Stabat mater, nicht bloß das Herz rüh-
reud zu Affekten, wie sie nur jene Se-
quenz zu wecken vermag, aitch den Ver-
stand anregend lutb emporführend zu den
Höhen der Kontemplation. Scheint unser
Relief nicht ganz aus beiu Geiste des mysti-
schen Dogmatikers geboren zu sein, der rmi
Fest der „Sieben Schmerzen" jedjährlich in
den Brevierlektionen, welche die Kirche aus
den Homilieu des „Ooctor mellikluus"
ansgewählt, die honigsüße Sprache des
Affekts mit der scharfgeschliffenen Dialektik
verbindend, nns das Geheimnis der Pas-
sio - Compassio erklärt. St. Bernhard
von Clairvaux: „Alioquin quisnam tu,
traten, aut unde tibi haec sapientia,
ut mireris plus Mari am com-
patientem quam Mariae tili um
patientem? Ille etiam mori cor-
pore potuit, ista commori corde
non potuit? Fecit illud caritas, qua
maiorem nemo habuit, lecit et hoc
caritas, cui post illam similis altera
non fuit." „Wer bist bn denn, mein
Bruder, oder tvoher hast btt diese Weis-
heit, daß die dich mehr wunderst über
Mariä Milleiden als über Mariä Sohnes
Leiden? Jener konnte auch dein Leibe
nach sterben; diese sollte nicht milsterben
können den: .Herzen nach? Jenes hat die
Liebe getan, wie sie größer niemand hatte;
dies hat auch die Liebe getan, der nach
jener keine andere gleich gewesen."

Ist das nicht wie ein wörtlicher K o m-
mentar §u unserem Bild, das trotz seiner
geistvollen, übergeistigen Selbstbeschränknng
des Kommentars für Denkende nicht be-
darf? Und doch liegen für ein mystisches
Gemüt wie für einen spekulativen Ver-
stand die höchsten Geheimnisse in Bild
itnb Wort ausgedrückt, weit mehr als bloß
das affektvolle vim doloris sentire im
Hymnus Jakopones da Todi, weit
mehr noch als tue psychische vis doloris
Sk. Bernhard s, der an derselben Stelle
folgert: „Plus quam Märtyrern non

immerito praedicemus. in qua ni-
mirum corporeae sensu m pas-

sionis excesserit compassio-
nis a ff ec t us." „Laßt uns Maria mit
vollem Recht über eine Märtyrin preisen,
in der sicherlich die Empfindung körper-
lichen Leidens der Affekt des Mitleidens
überstiegen'' p.

Das köstliche Bild unseres Künstlers
iutb köstlicheres am und im Bilde ausge-
prägtes Wort, dessen Wahl, von seltenem
Künstlerglück eingegeben, ihn zum Theologen
hier berufen erscheinen läßt, enthalten in gol-
dener und silberner Schale zwei Arten
von Passio und von Compassio. Die
eine entspringt aus bem Mitleid —Mit-
empfinden der Gottesmutter mit bem
Schmerz des Gottessohnes, die andere
aus dem Mit leiden — Leidensgemein-
schaft der Erlösermulter mit bem Erlöser-
sohn. Die eine Schale faßt das psycho-
logische, allgemein menschlich-christliche
condolere, ovf^nad'elv (Hebr. 4, 16;
10, 34), die andere ist eingetancht in das
gottmenschlich - redemptorische compati,
avfinda^Eiv (Röm. 8, 27, I. Cor. 12,
2, 6) * 2J; das eine symbolisiert die Teil-
nahme Mariä am Schurerz Jesu, das
andere die Teilnahme am Opfer Jesu,
rvie es nur die Monnmenlalitäl der klassischen
Sprachen ebenso kurz und wuchtig aus-
zudrückeu vermag, — das scheint mir,
wenrr ich den Künstler und sein Kunst-
werk recht verstanden habe, Stern und
Kern des Marmonschen Reliefs §u sein.

Auch ohne dogmenforschender Theologe
zrr sein, kann man von dem nur leicht
verschleierten Bilo den durchsichtigen Vor-
hang ziehen rrnd jerie Geheinrnisse einer
Religion darin verborgen sehen, die in
Christrrs alles Heil gegründet glaubt;
in Christus den Vater aller Gläubigen,
aber auch iu Maria die Mutter aller
Gläubigen, die leibliche Mutter ihres
Hauptes, die geistige Mutter aller ihrer
Glieder verehrt, und Maria eine Mit-
wirkung wie bei der Menschwerdung des
Erlösers, so auch bei der Erlösung nnd Hei-
ligung des Menschengeschlechtes zuschreibt,
— von der verstiegenen Bezeichnung „cor-
redemptrix" hier zu schweigen. „Chri-
stus genügte freilich," sagt derselbe hl. Bern-

!) Sermo S. Bernardi Abbatis de XII
stellis. Brdv. Rom. Dom. III. Sept. 1. VI.

2) Beide Ausdrücke finden sich nur an diesen
zwei Stellen des N. T.
 
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