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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 30.1912

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Nr. 3
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Fischer, J.: Erziehung und religiöse Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16252#0032

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25 —

gebildete Hierophant das Martyrium des
hl. Laurentius. Da er denselben aber mit
dem hl. Johannes verwechselte, verfehlte
er nicht, bei diesem Anlaß ans die Un-
wissenheit des katholischen Mittelalters ans
dem Gebiet der biblischen Persönlichkeiten
hinzuweisen. Der hl. Johannes aus dem
Rost gebraten! Ein uünder feingebildeter
Hierophant in einer Stadt hart an der
württembergischen Grenze erzählte bei
Besichtigung des Chorgestühls von den
katholischen Pfaffen — „Kardinale" soll er
sie betitelt haben—, die in diesen Stühlen
faulenzten. Das Volk — es handelt sich
in unserm Fall um schlichte Bauern -
muß so weit gebracht werden, daß es von
selber aus den Werken auf die verwandte
Arbeit schließt und sich gegebenenfalls sagt:

„Der feine Knabe sagt unfeinen Dank,

Der in den Brunnen speit, aus dein er trank."

Eine rein rezeptive Tätigkeit bei
Betrachtung der Kunstwerke gibt es nicht.
Schon das gewöhnliche Sehen schließt ein
äußerst kompliziertes, in langjähriger
Uebnng geschultes Verarbeiten der durch
deu Gesichtssinn aufgenommenen Eindrücke
in sich. Neben den sensorischen Nerven
treten dabei die motorischen hemmend und
angeneinstellend in Tätigkeit. Vor allem
sind es zwei Faktoren, die sich dabei geltend
machen, nämlich das Interesse und der
Erfahrungsschatz.

Welche Rolle das Interesse spielt, geht
aus einem Fornt- und einem Zeichen-
experiment hervor, das W. A. Lay in
Karlsruhe mit Aufäugeru in der Volks-
schule veranstaltete. Sämtliche gewählte
Vorwüfe gehörten der Lebeusgemeinschast
der Kinder, merkwürdig viele der Peri-
pherie derselben an: eine Schlange, ein
Elefant, ein Affe, ein Altar mit Kerzen,
den das Kind anläßlich einer Taufe ge-
sehen hatte, eine Flagge auf hohem Mast,
die anläßlich des Kaiserbesuchs geweht
hatte, ein Dampfschiff usw. Nun ist
es gerade der Religion eigen, daß sie über
den Alltag emporragt, daß sie ins Reich
des Ueberirdischeu und Wunderbaren ein-
sührt. Sie darf also ans das Interesse
der Kinder zählen. Nur sollte die religiöse
Kunst nicht gewaltsam das Niveau durch
unangebrachte Realistik wieder Herabdrücken.
Auf dem Heimweg von einer großstädtischen
Lichtbilderpredigt belauschte ein Teilnehmer

das Zwiegespräch eines Knaben mit seiner
Mutter. Der Junge lobte die heiligen
drei Könige von Moritz v. Schwind. Auf
diesem Bild habe man auch ein Christkind
gesehen. Die andern Christkindlein seien
in Wirklichkeit Banernbuben. Bietet man
Kindern stark realistische Darstellungen ohne
Vermittlung und Vorbereitung, so darf
man mit Sicherheit ans einen unbeabsich-
tigten Heiterkeitserfolg rechnen. Die pro-
phylaktische Korrektur dieses Mißerfolges
besteht in der Erweckung von Interesse.
Nur ans diese Weise lassen sich Bilder
wie das „Almosen des Armen" von Schiestl
oder die „Auferstehung" von Grünewald
(Kirchenjahr in Bildern) genießbar machen.

Bei letzterem Bild liegt die Schwierig-
keit weniger in der Realistik als in bem
ungewohnten Stil. Das Kind tritt nämlich
nicht als tabula rasa an das Kunstwerk
heran. Es bringt, wenigstens im Extrakt,
seine durch Erfahrung gewonnene
Bilderwelt mit und gestaltet unter denk
Einfluß derselben unbewußt aber selbst-
tätig. Der Kontrast zwischen dem aus
Grund der mitgebrachten Typenwelt ge-
staltenden Ich und dem neuen Objekt löst
je nachdem Staunen, Mißfallen oder Heiter-
keit ans. Ans dieser Tatsache beruht die
Bedeutung der Stileinheit. Jeder Bilder-
zyklus, jedes Bilderbuch sollte daher deu
Vorzug der künstlerischen Einheit aufweisen.

Gleichwohl ist das „Kirchenjahr in
Bildern" mit seinem kunterbunten Inhalt
nicht abzulehnen. Nur sollen ans ihm
nicht zuviele Nummern auf einmal oder
in rascher Abfolge geboten werden. Zweck
der Sammlung ist ja nicht nur der ästhe-
tische Genuß, sondern — und zwar noch
mehr — die ästhetische Erziehung. Dabei
s kommt es ungemein zustatten, daß die
! Kinder höchst unfertige und unentwickelte
| Bilder mitbringen. Bei einiger Vorsicht
werden sie an beit technischen Mängeln
der alten Kunst keinerlei Anstoß nehmen.

Jetzt noch ein Wort über die Bedeutung
der eigenen Versuche des Kindes in der
religiösen Kunst. Solche gibt es in der
Tat ans dem Gebiete des religiösen Zere-
moniells, also, wenn man will, der reli-
giösen Mimik. Bekanntlich zeigen die
Kinder hiefür oft viel Sinn mtb Eifer.
Wie lebhaft schildert I. Scheicher seinen
Drang nach dem Avancement znm Mini-
 
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