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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 30.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.16252#0057

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48

zwei Posaunenengeln. In den zwei Zonen der
Archivolten 18 Darstellungen: am Nordportal
innen mit Martyrien, außen fünf kluge und
fünf törichte Jungirauen, am Südportal an den
Archivolten Engel mit Trophäen und Propheten,
au der Vorhalle 12 Bilder Schöpfungsgeschichte,
Propheten in den Archivolten und drei Propheten-
statuen an den Gewänden. Der Meister des
Südportals ist die Seele des Ganzen, der des
Nordportals schwächer. Eine neue Schule, die
von Gmünd, erscheint hier mit dramatisch be-
lebtem Erzählungsstil, von der Nottweiler Schule
scharf getrennt und von den Skulpturen des
Langhauses. Dabei waren aber auch minder-
wertige Hände tätig. Vielleicht beeinflußte Peter
Parier, Heinrichs Sohn, diese Chordekorationen.
1350—1360 etwa find die Tympana und Archi-
volten entstanden, etwas später die Portal-
statuen und zwei Bilder des Schmerzensmanns
und St. Notburga, gegen Ende des 14. Jahr-
hunderts zuletzt wahrscheinlich die Statuen der
Strebepfeiler anr Chor, der nach dem Langhaus
(nicht vorher, wie früher angenommen wurde)
von 1351 ab erbaut wurde.

d) Das S ü d p o r t a I am C h o r d e s Augs-
burger Doms, 1356 begonnen, ist eine stark
vergrößerte Kopie des Südportals am Gniünder
Chor, aber das m a l e r i s ch e Element tritt hier
in wuchernder Fülle auf, in Reliefs des Marien-
lebens, fitzenden Propheten, Vorfahren Christi
und Königen, dem Weltrichter und den Statuen
von Maria und Heiligen. Aber auch Zeichen der
Entartung find bemerkbar.

c) Ain Münster in Ulm, 1377 begonnen,
findet Hartmann gleichfalls Ableger der Rott-
weiler Schule anr N o r d w e st p o r t a l von 1356,
das von der alten Ulmer Pfarrkirche stammt,
in Reliefs der Geburt Christi und der drei Kö-
nige — und am Südost portal mit jüngstem
Gericht (einst Hauptportal der alten „Pfarrkirche
im Feld"), vor 1377 jedenfalls geschaffen, von
einem Autodidakten der Gmünder Schule. N o r d-
ostportal mit der Passion und Süd west-
portal mit Zug und Huldigung der drei Kö-
nige, Leben und Krönung Mariä zeigen ein neues
Prinzip, das Eindringen von malerischen Mo-
tiven. Entwurf und Ausführung dieser zwei
Portale find wohl einem Meister der sogenannten
Parlerschule zuzuschreiben, aber diese Ulmer Schule,
aus welcher diese zwei Portale hervorgingen, ist
ein Ableger der Gmünder Schule. Am Haupt-
portal des Turms ist ein reicher Genefiszyklus
mit Reliefs im Erzählungston, eine Abart des
Gmünder Stils, von Ulrich Enfinger (seit 1392
Baumeister am Münster) dahin bestimmt. Mit
der Richtung der Rottweiler Schule verwandt ist
auch der Meister des R a v e n s b u r g e r Marien-
portals, aber mit malerischen Konzessionen, etiva
im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts ge-
schaffen. Woher stammt die Gmünder Schule?
Abgesehen von ihrer zweiten Entwicklungsstufe
mit malerischem Element des italienischen Trecento,
dürfte sich das Eindringen der Gmünder wie der
Rottweiler Schule in Schwaben bezeichnen lassen
„als eine Welle der großen französischen Kunst-
bewegung, die zweite im Verlauf des 14. Jahr-
hunderts, die in das schwäbische Neuland der
Gotik hinübergedrungen ist".

III. Im letzten Teil behandelt Hartmann die
E n s i n g e r Schule i n U l m u n d E ß l i n g e n
und die Anfänge des n e u e n S t i l s v on
1400—142 0. Er unterscheidet a) am H au p t-
portal des Ulmer Münsters einen „Meister
der Apostel", der die energischen, prächtigen
sitzenden Apostel an den Archivolten der Portal-
durchgänge schuf, vom mehr befangenen „Meister
der Pfeile r st a tuen", dessen Schule auch die
19 Figuren der oberen Stirnseite angehören.
Diese zwei Meister sind die zwei Hauptvertreter
eines neuen realistischen malerischen Stils, der
zuletzt in der Statue des Schmerzensmanns
und den reich figurierten Konsolen an den Pfeilern
des Hochschiffs nach Ulrich Ensingers Tod den
vollen Sieg des Realismus feiert. Tie vier
Statuen der Pfeiler (Muttergottes mit St. Mar-
tin, und St. Antonius mit Johannes Baptist)
und 19 Statuen oben (Muttergottes, sechs heilige
Jungfrauen, 12 Apostel stehend) sowie die herr-
lichen 12 sitzenden Apostel der Archivolten der
beidenPortaldurchgänge, dieTympanonumrahmung
mit Martyrien und den klugen und törichten
s Jungfrauen werden genau besprochen, der Ge-
nesiszyklus schon bei der vorigen Bauperiode.
Die Skulpturen des Hauptportals sind zirka
1895—1420 entstanden. An den Gewänden des
Portals stehen jetzt spätere Holzstatuen, ebenso
an den Flanken des Türpfeilers, eine Holzstatue
der hl. Anna Selbdritt steht oben an der Stirn-
seite des letzteren. Die Statuen auf den Strebe-
pfeilern am Chor (Muttergottes und Propheten)
sind wohl später entstanden als der doppelte
Archivoltenzyklus am Tympanon des Hauptpor-
tals. Die Meister der Apostel und der Pfeiler-
figuren sind die beiden Hauptvertreter des Ulmer
Zweigs der älteren Enfinger Schule, den andern
schwäbischen Zweig dieser Schule finden wir in
Eßlingen.

b) Ulrich Ensingen leitete den Bau des
westlichen Teils der EßlingerFrauen-
kircke und des Turms bis zum ersten Geschoß.
Am Süd w e st portal (deni eigentlichen Haupt-
portal) ist das jüngste Gericht im Tympanon,
mit dem Zug der Seligen und Verdammten
unten, oben Weltrichter und zwei Propheten an
den Seiten. Das vorzügliche Westportal hat
im Tympanon den Ritter St. Georg im Kampf
mit dem Drachen, Königstochter, Burg und den
Engel. Beide Portale sind etwa 1400—1420
ausgeführt und stehen in Beziehung zur soge-
nannten Stiftungstasel im Ulmer Münster, und
haben einen Meister eines neuen von Burgund
wahrscheinlich importierten realistischen Stils.
So führt uns der Verfasser durch drei Schulen
des 14. Jahrhunderts bis zur Zeit der Blüte
der Plastik im 15. Jahrhundert, wo sie an den
geschützten Altarschreinen verbunden mit der
Tafelmalerei ins Innere der Kirche einzieht
und dort ihre Triumphe feiert. Die Ausstattung
des Werks durch den Verlag von Fr. Bruckmann
mit prächtigem Druck und 28 scharfen Tafeln ist
eine sehr vornehme. Die Straßburger Cunitz-
stiftung und Würtlembergische Staatsregierung
haben diese Publikation unterstützt, an der Wissen-
schaft und Denkmalspfiege gleichermaßen inter-
essiert sind.

Oberndorf a. N. B r i n z i n g e r.

Stuitaart. Vucbdruckerel der Akt.-Ges. „Deutsches Volksblatt".
 
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