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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 30.1912

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Nr. 6
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Beßler, Josef: Die Kanzeln Toskanas aus dem 12. und 13. Jahrhundert, [1]: kunstgeschichtliche Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.16252#0061

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52

jetzt noch in Pistoja an der Kanzel in
der Chiesa di S. Vartolomeo in Pantano,
die Evangelistensynlbole mit dem (Adler)
Lesepiilt. Hier in Groppoli ist davon
gar nichts mehr zu sehen außer dieser
Basis der Tenfelsfratze. Das erste Relief
stellt die Verkündigung dar. Gleich große
Figuren füllen das ganze Feld aus.
Maria hält wohl eine Spule zum Spinnen
in der Hand. (Motiv aus beit Apokryphen!)
Besser gelungen und gut erhalten ist der
Engel, welcher einen Stab tragt und die
drei ersten Finger der rechten Hand er-
hebt. Es ist also nicht richtig, wenn
Schmarsow sagt, daß nur Maria noch
erhalten sei.

Das zweite Relief stellt die Visi-
tatio dar. Maria und besonders Eli-
sabeth haben alte Gesichter. In der
Ecke links Zacharias, der sich auf einen
Stab stützt; ans feinem Rücken (über ihm)
ein Engel, wohl der Erzengel Gabriel:
also ein kurzer Hinweis ans die Ver-
kündigung der Geburt des Johannes.

Der zweiteilige Eckpilaster ist mit
Rosetten verziert.

Die Reliefs der Lang feite.
1. Geburt Christi. Oben liegt Maria ans
einem Bett ganz eingeschnürt, schlafend,
ohne jeglichen Hauch eines religiösen,
höheren Lebens. Ueber ihr das Jesuskind
ebenfallseingeschnürt in der Krippe liegend,
dabei Ochs und Esel; links in der Ecke ganz
oben der tellerförmige Stern. Unten baden
zwei Frauen, die gleich groß sind, obwohl
die eine von ihnen kniend dargestellt ist, das
Jesuekmd, das aber, viel größer als oben,
wie ein Knabe von 2—3 Jahren erscheint.
Tie kleinere, zwerghaft aussehende Frau
gießt das Wasser in die große Badewanne.
Links in der Ecke sitzt St. Joseph auf
einem Stuhl und schläft; die linke Hand
scheint das müde Haupt zu stützen. Er
kehrt der ganzen Szene seinen Rücken und
kümmert sich anscheinend nicht um die-
selbe. Reben seiner imposanten, aber
plumpen Gestalt erscheinen die Wärterinnen
ganz klein. Teilnahmlose Resignation ist
ans seinem Antlitz ausgeprägt. lieber
dem Haupte von St. Joseph schwebt ein
Engel, der ein Gesäß in der Hand trägt,
dessen Deutung ganz unsicher ist. Schmar-
sow nennt diese Darstellung „ein Bild
freudloser Erschöpfung und hoffnungsloser

Dnmpsheit, nur belebt durch den Stern
und den Engel, die einzige Beimischung
biblischen Charakters" (p. 42).

Das zweite 9telies der Langseite
stellt im Hanptbild die Flucht nach
Aegypten dar.

Maria mit dem Kind, das in ein
Tragkissen eingewickelt ist, sitzt auf einem
Maultier (?), das Joseph mit der Peitsche
in oer Hand rückwärtsgehend am Halfter
führt; oben schwebt als Beschützer und
Wegweiser ein Engel. In der rechten
Ecke dieses Reliefs erblickt man die Ver-
kündignng an die Hirte», die doch nicht
zur Hauptdaistellung paßt. Sie sollte
vielmehr ans dem anderen Relief sich
finden. Es sind zwei Hirten, die schein-
bar ans drei Schafen und einem Hund
sitzen. Der Künstler, der die Gesetze der
Perspektive nicht kannte oder nicht an-
zuwenden verstand, türmt die Figuren
übereinander, da er sie nicht nebenein-
ander zu stellen vermag. Die Hirten
sind nur bis zur Brust sichtbar. Ein
säst skelettartiger Engel bringt den Hirten
die frohe Botschaft. Ein dritter Hirte,
viel größer als die andern, mit einer
Tasche an einem Stab über dem Rücken,
schreitet mächtig aus, um nach Bethlehem
zu gehen. Es geivinnt aber, da er in
die Hauptdarstelluug hineinragt, den An-
schein, als ob er mit der hl. Familie nach
Aegypten ziehen wollte.

Der äußerste, ziemlich vorspringende
Pilaster trägt als Verzierung ein drachen-
artiges Tier, das ziemlich gut gelungen ist.

Wer ist nnn Der Meister dieser
Kaiizel, und wann ist sie erstellt
worden? Die Antwort gibt (aber nur
zmit Teil) die Inschrift, welche kaum lesbar
auf der Langseite auf bem unteren
Gesims zu lesen ist und wahrscheinlich
also lautet:

„Hoc opus fecit fieri hoc opus
Guiscardus (?) plebanus."

Plebauus ist der Rektor einer Mutter-
kirche oder Plebanie. Mau sagt heute
noch: il pievano und für die Kirche

lapieve.

Der Raine des Meisters ist also nicht
genannt. Es scheint auch kein berühmter
Künstler gewesen zu sein. Vielmehr ver-
raten die plumpen und unbeholfenen,
kunst- und seelenlosen Darstellungen die
 
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