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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 30.1912

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Nr. 6
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https://doi.org/10.11588/diglit.16252#0069

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60

über das Paradies, über die israelitische Königs-
herrlichkeit, über den Tempel, über Jerusalem,
ja, auch über das an glänzenden Bildern so
reiche Leben des Herrn. Man darf nicht ver-
gessen, daß in der zu stark bewerteten Anschau-
ung sich auch ein falscher Positivismus unv
Psychologismus verbirgt, und die Gefahr der
Denkfaulheit steckt. In diesem Sinn und Zu-
sammenhang behält das Bilderverbot von Sinai
doch noch einige Bedeutung. Die Gefahr der
groben Jdololatrie besteht nicht mehr, wohl aber
die der verschleierten. Den Zeiten reichster
künstlerischer Entfaltung find in der Kirche nicht
Epochen des Aufschwungs gefolgt, sondern Kata-
strophen, während die Kirche oft in tunst- und
bilderarmen Zeiten die herrlichsten Triumphe
feierte. Heute noch empfängt das Volk die in-
tensivsten Anregungen von „Kunstwerken", die
eher den Namen anspruchsloser Gedächtnishilfen
verdienten. In einer Zeit so harter Verfolgung der
positiven Religion, zumal des Katholizismus, liegt
für die Gläubigen, sofern sie standhaft bleiben
sollen, der Hauptwert nicht in der Anschauung,
sondern in der im Intellekt und (durch die prak-
tische Lebenserziehung) im Willensleben ver-
wurzelten U e b e r z e u g u n g s k r a f t.

Bei Berücksichtigung dieser Tatsache hätte
sich die stellenweise Ueberschwenglichkeit von
selbst auf das gebührende Maß reduziert.
S. 23 heißt es: „Das Ideal muß es bleiben,
jede katechetische Unterrichtseinheit in einem
Bilde zusammenzufassen." Dementprechend wird
am „Kath. Kirchenjahr" ausgesetzt: „Für die
Sonntage Septuagefima, Sexagesima und Quin-
quagesima fehlen Darstellungen" (S. 82). Nun
sind gerade die einschlägigen Evangelien Schul-
beispiele dafür, daß das Bild bisweilen die An-
schauung eher stören als fördern, eher zerstreuen
als „organisieren" kann. Ich besitze ein mo-
dernes Schnlbild „Die Arbeiter im Weinberge".
Wie oft habe ich mir schon den Spaß gemacht,
sein Thema von Erwachsenen erraten zu lassen:
noch keinem ist es gelungen! Selbst ein ge-
lehrter Kunstschriftsteller fand darin den Verkauf
des ägyptischen Joseph dargestellt. Wie hätte es
der Maler auch angehen sollen, um deullich zu
machen, daß der eine Arbeiter zur ersten, der
andere zur elften Stunde eintrat und gleichwohl
beide denselben Lohn erhielten? Die armseligste
Kinderphantafie kommt hier weiter als der
genialste Malerpinsel. Und wie kläglich find in:
Grunde genommen sämtliche Versuche fehlge-
schlagen, die Geschichte „Kain und Abel" im
Bilde zusammenzufassen! Das lebendige Wort
kann entwickeln und kann in die Seele hinab-
greifend die Wurzeln des Geschehens erfassen.
Schon aus den Kleinsten redet bewußte Er-
fahrung, wenn sie aufsagen:

„Den Neid jag auf der Stelle fort!

Aus Neid geschah der erste Mord."

Das Bild dagegen muß sich großenteils auf
mehr oder iveniger plumpe Behelfe beschränken,
wodurch die Moral verwässert, veroberflächlicht
und veräußerlicht wird.

Dieser Standpunkt steht keineswegs im Wider-
spruch mit den Interessen der Kunst. Auch auf
ästhetischem Gebiet gilt der Satz: „Hunger ist
der beste Koch", und nirgends rächt sich die Ueber-

sättigung empfindlicher als hier. Ich bin daher
nicht für Zulassung, noch weniger für ein Mono-
pol der farbigen Illustrationen in den Lern-
büchern. Sie find sür eine solche Fassung zu kost-
bar. Am wenigsten dürfte eine wirtliche Notwen-
digkeit bestehen für rein liturgische Bilder. Eine
Taufe oder eine Beicht, Kommunion, Firinung,
Eheschließung, letzte Oelung milanzusehen hat
jedes Kind Gelegenheit. Dazu bedarf es keiner
Zusammenstellung von Platzhaltern wie in den
Sakramentenbildern von Schumacher (S. 56 f).
Eine Notwendigkeit zu solchen Bildern aus reli-
gionspädagogischen Gründen — und nur diese
stehen hier in Frage — scheint uns de»,nach für
die meisten Sakramente nicht zu bestehen.

Der Verfasser beruft sich für seinen gegen-
teiligen Standpunkt auf Matth. 13, 34. Der
Heiland „redete in Gleichnissen zum Volke und
ohne Gleichnis redete er nicht zu ihnen". Wie
wir bereits an einem Beispiel gesehen haben,
sind Bild und Gleichnis keineswegs dasselbe.
Das Gleichnis an sich ist für das Volk — für
sein Ohr und für sein Auge — stumin. „Rede,
damit ich dich sehe!" Das „Reden" ist nicht
die Stärke der modernen, farbenfreudigen Bilder,
und wo es ihnen gleichwohl gelungen ist, gilt:

„Der Wein aus deiner Kelter war

Von: alten, nicht vom neuen Jahr." (Uhland.)

Die Werke der Nazarener zeichnen sich durch
Beredsamkeit aus. Man lausche nur der an-
mutigen Predigt von Führichs Bild: „Sehet hin
ans die Vögel des Himmels!" (S. 108). Wir
begrüßen es mit Freuden, daß die katholische
Volksliteratur neuerdings die Ausbeute dieser
unerschöpflichen Fiindgrube kräftig in die Hand
genommen hat. Auch Volksschüler werden zu
Hause in den „Epheuranken" oder im „Send-
boten" blättern, und es kann gar nichts schaden,
wenn sie von der Schule wenigstens eine Ahnung
des wahren Wertes heimbringen. Ich begreife
daher nicht recht die verhältnismäßige Kühle
gegenüber dem Erbe der Nazarener, die an ver-
schiedenen Stellen zutage tritt. Sie ist zwar
augenblicklich „Mode", aber gerade in reli-
gio nspädagogi scher Hinsicht so grundlos, wie
nur irgend eine Mode cs sein kann, und sie ent-
spricht weder dem tatsächlichen Volksempfin-
den, noch dem Empstnden des Kindes. Ein un-
verfälscht natürliches und frommes Gemüt wird
auch heute noch von diesen frommen Schöpfun-
gen einer betenden Kiinst angezogen. Gerade
in religionspädagogischer Hinsicht stehen
die Werke der Nazarener turmhoch über den
meisten modernen Erzeugnissen.

Die Entschiedenheit, mit welcher Heilmann
eine k a t h o l i s ch e Kunst fordert, ist anzuerken-
nen (z. B. S. 40). Auch die Quellen, aus de-
nen die katholische Kunst schöpft, werden gelegent-
lich genannt: Bibel, Dogma, Tradition, Litur-
gie. Vielleicht wäre es gut gewesen, ihre prin-
zipielle Bedeutung im Zusammenhang noch nach-
drücklicher zu betonen.

Das sind Bedenken und Erinnerungen, die
sich dem kritischen Beurteiler aufdrängen. Den
Kunstfreund werden sie nicht zu sehr stören. Er
wird vielmehr gleich dem Referenten das Buch
voll Interesse in einem Zug zu Ende lesen.

F r o m m e n h a u s e n. Pfv. Fischer,

Stuttüart. Buchdruckers! der Akt.-Ees. .Deutsches BolksbluU".
 
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