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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 30.1912

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Nr. 8
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Beßler, Josef: Die Kanzeln Toskanas aus dem 12. und 13. Jahrhundert, [3]: kunstgeschichtliche Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.16252#0084
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auf der Vorderseite, welche also nicht so
laug war iuie jetzt, sondern nur zwei
Felder besaß (vergl. auxit). Die vier
anderen ans dem verherrlichten Leben
Jesu befanden sich paarweise getrennt an
den beiden Schmalseiten, welche also nur ein
Feld je besaßen, während jetzt je zwei
Felder sich dort finden (wiederum auxit).
ES ist kaum anznnehmen, daß der Meister,
wie es jetzt ist, das eine Feld ans der
Westseite bloß mit einer Rosette geschmückt
nnd auf der östlichen Schmalseite gar
keine Reliefs angebracht hätte. Für diese
Ansicht spricht auch der Umstand, daß
die beiden Platten mit Erscheinungen
des Anferstandenen von oben nach unten
zn lesen sind, also durch größere Zwischen-
räume getrennt sein konnten. Die Dar-
stellungen ans der Kindheit aber sind in
horizontaler Weise zn betrachten, nicht
von oben nach unten, sondern von links
nach rechts. Dann wird auch die zeitliche
Folge genau eingehalten. Es folgt ans
Ia Verkündigung dann daneben II a Geburt,
ans Ib (unten) Anbetung, dann daneben
IT b Darstellung. Die Nichtigkeit dieser
Vermutung beweisen auch die Inschriften.
Es kommen dann für die Vorderseite die
folgenden Inschriften

Ia Annuntiatio Do- Ha Nativitas Jesu
mini Christi

Ib Hic offerunt mu- 11 b Repraesentatio
nera Domino Domini in templo

zusammen, welche die Szene nnr mit einem
Wort oder einem kürzeren Satz bezeichnen.

Für die übrigen Reliefs ist der Inhalt
in Verse gekleidet.

lila Inferni portis stratis cum principe mortis
Extra portavit haec quae Deus ipse
portavit.

IHb Isteperegrinusperampost dorsaligatus
Missus divinus Jesus est, de virgine
natus.

IVa Panditur hic ante conspectum disci-
pulorum

Thoma distante qui nulli credit eorum.
IVb Discipulis edit se Christus et omnia
credit

Thomas, cum tangit, quibus os erran-
tibus angit.

Rach öer jetzigen Anordnung aber
stehen diese vier Reliefs mit ihren Versen
ans der Vorderseite nnd nebenan das Relief
mit der Bezeichnung: Nativitas und

Repraesentatio. So kann die Zn-
sammenstellnng nie gewesen sein.

Verteilen wir nach dieser genialen Auf-

fassung Schmarsows die Reliefs, dann
erklärt sich auch am besten ihre technische
Verschiedenheit. Die Reliefs: Verkün-
digung bis Darstellung sind viel besser
heransgearbeitet als die übrigen. Sie
sollten als an der Vorderseite befindlich
mehr in die Angen springen als die
anderen. Bei dieser Anssassnng brauchen
wir auch keine zwei verschiedenen Meister
anznnehmen. Es ist ein und derselbe
Künstler, der alle Reliefs gemacht hat,
nnr hatte er nicht bei allen die gleiche
Wirkung im Auge. Die weniger gesehenen
ans den Schmalseiten sind nicht so gut
und tief heransgearbeitet wie die mehr
auffallenden ans der Vorderseite.

Betrachten wir nun im einzelnen die Re-
liefs. 1. V e r k ü n d i g u n g. Maria, matro-
nenhaft mütterlich, hat sich vom Polster er-
hoben. Sie hat ein Manteltnch über den
Kops gelegt, das nach Nonnenart die Haare
bis an den Rand der Stirne bedeckt nnd in
schweren Zickzacksalten herabfällt. Die
Augen zeigen etwas wie Schrecken nnd
blicken ins Leere. Dem Künstler geht
die Fähigkeit ab, die Affekte der Seele
naturgetreu darznstellen. Die Wärterin
mit dem üppigen Haarschntnck hält
Schmarsoiv für eine echte Langobardin.
Der Engel schreitet herein nnd hat über
seinem ansgestrecklen Zeigsinger die Tanbe,
das Sinnbild des hl. Geistes, sitzen. Die
Gestalten sind merkwürdig kurz.

2. Geburt Christi. Dieses Relief
zeigt uns die übliche Zweiteilung: Die
Jnngsran ans bem Lager, neben ihr
sitzend St. Joseph nnd oben das Kind
in der Krippe — nnd sodann die Bade-
szene. Es silld recht zierliche Figuren
nnd eine wohltuende Harmonie tut sich
knnd. Die Geburt als Hanptbild nimmt
auch den größteil Teil des Reliefs ein,
während die Badeszene, wie es sich gehört,
mehr in den Hintergrllnd tritt. Ren bei
der letzteren ist die sitzende Frau, welche
das Kind hält. Die nitbere Schaffnerin
gießt stehend das Wasser in das Becken.
Das Lager, ans bem die Jnngsran ruht,
zeigt schönen Faltenwurf. St. Joseph
zeigt nicht mehr das resignierte, stumpfe
Gesicht wie bei früheren Darstellungen.
Schmarsoiv glaubt in den Köpfen Josephs
nnd der bieneubeit Frauen germanischen
Charakter sehen zu können.
 
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