Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 30.1912

DOI Heft:
Nr. 9
DOI Artikel:
Beßler, Josef: Die Kanzeln Toskanas aus dem 12. und 13. Jahrhundert, [4]: kunstgeschichtliche Studie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16252#0098

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 89

köpf liegt, und dein ein Greif und ein
Hund beigesellt sind. Der Greif, so
meint Hettner in feinen Italienischen Stu-
dien S. 18, ist nicht als ein Lichtsymbol,
sondern als ein unreines Tier, als ein
Angehöriger der Mächte der Finsternis
anfzufassen. Der Hund ist ebenfalls ein
Symbol des Bösen, vergl. Pf. 21 multi
canes circumdederunt me.

Zwischen den Tatzen der schreitenden Lö-
wen liegen friedlich kleine wehrlose Tiere, ein
Hase, ein Widder und ein Kalb. Es soll
dadurch'nach Hettner die Sicherheit der
Schwachen, der Wandel in ungetrübtem
Frieden dargestellt und ans die Ünschulbs-
welt des Paradieses hingewiesen werden
(cfr. Js. 11, 6). Der Löwe, welcher
die Kanzel tragen muß, versinnbildet
den Teufel, der durch die Prediyt Jesu
und seiner Jünger (Evangelium) über-
wunden wird. Doch sind derartige sym-
bolische Deutungen von etwas zweifel-
haftem Wert. Die Kapitale der Säulen
sind sehr fein gearbeitete doppelte Akan-
thusblätter ohne Löwen- oder Menschen-
köpfe. Auf den Ecken der Kapitäle steheil
die schönen Statuen personifizierter Til-
genden, und zwar von links nach rechts:
1. earitas, eine sehr schöne Gestalt,
welche au der linken Hand ein Kind führt.
Die Falten des Gewandes sind sehr duf-
tig und leicht hingeivorfen. 2. fortitudo,
eine starke gewaltige männliche Flgnr,
nackt, die mit zwei Löwen, einem alten
und einem jungeti, ringt, bezw. sie be-
zwingt. Der große Löwe ist unten, der
junge über der rechten Schulter des Man-
nes. Die Figur erinnert sehr an die
Gestalt des Herakles. Man könnte meinen,
diese herrliche markante Figur sei direkt
von einen: antiken Relief herübergenom-
men *). 3. humilitas, eine nur wenig

bekleidete weibliche, nicht besonders schöne
Figur, an der die schwarzen Allgensterne
noch deutlich sichtbar sind. 4. krde1ita3,
Treue, erfenubar an dem Hund, den tue
schöne weibliche Figur aus den: Arme
trägt. 5. innocentia, nach Hettner ein
Greis, kann aber auch ein erwachsener
Maml sein, mit mächtigem Haupthaar und

x) Vergl. Rvhault de Fleury S. 61. welcher
rie Schönheit dieser Figur ganz besonders her-
vorhebt.

Bart; er trägt ein Lamm in den Händen.

6. beim Aufgang der Stiege nach Hett-
ner fides(?) Es ist ein Engel, wie ein
Diakon gekleidet, in sitzender, etwas ge-
drückter Haltung; am rechteil Arm schaut
ein junger Löwe hervor, unten links der
alte Löwe. Der Diakon trägt in der
linken Hand ein Bild, auf welchem Jesus
aur Kreuz dargestellt ist, wie eben seine
Seite von denr Soldaten durchbohrt wird.

Diese allegorischen Darstellungen der
Tugenden sollen die Segnungen des ans
der Kanzel verkündeten Evangeliums und
des Wortes Gottes symbolisieren. In
den Zwickeln der dreiteiligen Kleeblatt-
bogen, durch welche die Sänlen verbunden
werden, sind Propheten und Evangelisten
dargestellt, nicht Sibyllen, wie Kuhn meint.
Diese stehen vielmehr au den Ecken der
Kapitäle der Kanzel in S. Andrea zil
Pistoia. Ganz ähnlich wie in S. Andrea
sehen wir in den Zwickeln eines Vogens
die beiden köiliglichen Propheten, welche
an der Krone zu erkennen sind: David
und Saloinon. In den zwei letzten
Bogen bezw. vier Zwickeln sind die vier
Evangelisten dargestellt mit ihren Em-
blemen : zuerst Johannes, bärtig, mit denr
Adler, dann Markus mit denr Löwen,
eine sehr gute Figur, dann Lukas und
endlich Matthäus, denr ein Engel das
Buch hinreicht. Dies ist die schönste
Figur.

Die Verzierung des Gesinrses ist ein-
fach: zuerst Eierstab, bann Blattornament,
ans das ein vorspringender einfacher Stab
folgt. Die Felder, in welchen der Hanpl-
schmnck der Kanzel, die Reliefs dargestellt
sind, werden durch drei gekoppelte Süul-
chen mit Akanthuskapitälen getrennt.

Die Betrachtung der Reliefs wird uns
erst die rolle Größe Niccolos, die wir
schon im Aufbau der Kanzel, in den
naturgetreuen Löwen und den schönen
synrbolischen Figuren der Tugenden so-
wie in den Gestalten der Propheten und
Evangelisten ahnen konnten, so recht vor
Angen führen.

Es sind im ganzen fünf Reliefs, und
zwar von links nach rechts: l. Die Ver-
kündigung und Geburt Christi. 2. Die
Anbetung der Könige. 3. Tue Tarstellnng
im Tempel. 4. Jesus am Kreuz. 5. Das
jüngste Gericht.
 
Annotationen