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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 30.1912

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Nr. 12
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Beßler, Josef: Die Kanzeln Toskanas aus dem 12. und 13. Jahrhundert, [7]: kunstgeschichtliche Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.16252#0129

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120

Taube, sondern in der von feurigen
Zungen auf die Apostel herab. Wie
hatte aber der Meister diese Zungen
plastisch darstellen sollen uub können.
So nahm er eben die Gestalt der Taube,
in welcher der hl. Geist- auf beit Sohn
Gottes herabgekommen war. — Maria
fehlt in der Versammlung der Apostel,
deren Zahl nun wieder voll ist. Je sechs
sitzen auf beiden Seiten, drei oben, drei
unten. Diese Szene ist ähnlich einförmig
und Nlouoton wie die Fnßwaschtlng.

10. Relief: Tod Marin. Nach Sem-
per reichen die Apostel Maria die hei-
ligen Sterbsakramente. Das ist aber nicht
richtig; vielmehr umgeben sie in großer
Trauer die sterbende Mutter. Petrus
uub ein anderer Apostel haben sich §it
Maria hingeneigt, eine ergreifende Dar-
stellung. Ein vor beut Bett kniender
Apostel hält ein Rauchfaß. Obeu findet
sich noch eine ganz eigenartige Darstellung:
ein Mann mit einem Kind auf dem Arm,
umgeben von zwei Engeln, welche Maria
stützen. Semper weiß diese Szene nicht
zu erklären uub auch mir erschien sie rätsel-
haft, bis ich in Worms in der berühm-
ten Tarrfkapelle des Domes auf einem
Sandsteinrelief dasselbe Motiv dargestellt
und dann erklärt fand : dieser Mann
ist niemand anders als Jesus, welcher
die Seele Mariens bei ihrem Hinscheiden
aufnimrnt.

Die ganze Szene ist sehr schön und
verrät wiederum eine große Symmetrie
in der Darstellung. Semper rühmt an
dieser Kanzel ganz besonders die wunder-
bare Symmetrie uub Harmonie, sei es
in rämnlicher, sei es iit der numerischen
oder geistigen Anordnung und Verteilung
der Figuren. Dazu geselle sich eine muster-
hafte Ausfüllung des Raumes, die durch-
aus nicht in Ueberfüllnng des Raumes
ausarte. Auch ist Fra Guglielmo weniger
abhängig von der Antike und nimmt das
Gute der byzantinischen Kunst: die Sym-
metrie der Komposition, in seine Kunst
ans. Ob es nicht 31t weit geht, wenn
Semper nicht nur in den Bewegungen
und Linien, sondern auch in ganzen Grup-
pen schon Giotto, Donatello und Andrea
del Sarlo angedentet findet?

4. Die Kanzel des Giovanni P i -
sano zu St. Andrea in Pistoin.

Von den drei berühmten Kanzelwerken,
welche Pistoia in seinen^Mäuern birgt,
ist die Kanzel in St. Andrea die voll-
endetste und bedeutendste.

Giovanni Pisano ist ihr Meister, der
große Sohn und Schüler des großen
Niccolo Pisano. Er gab, wie Burkhard
(p. 387) sagt, der Kunst eine neue Rich-
tung, die in den Fresken Giottos und in
den Bildwerken des Andrea Pisano ihren
Abschluß findet. Was Giovanni beson-
ders charakterisiert, das ist sein natura-
listisches Strebe». Während sein Vater
und seine Mitschüler aus der Autike die
Kunst der treueren Wiedergabe der Natur
zu schöpfen suchten, vermeidet Giovanni
diesen Umweg, schöpft unmittelbar aus
der Natur und sucht Lebenswahrheit mit
seelischem Ausdruck zu verbinden. Weil
ihm aber eine eigentliche Kenntnis der
Anatomie fehlt, so leidet unter diesem
naturalistischen Streben manchmal die
Schönheit und Nichtigkeit der Komposition.
Es drängen sich ihm großartige und neue
Gedanken auf und infolgedessen wird sein
Stil uub seine Arbeitsweise oft hastig
und gewalttätig. Dieser Fehler wird aber
reichlich ausgewogen durch die vielen Vor-
züge seiner Kompositionen, insbesoirdere
durch die großartige Bewegung, die sinn-
reiche Anordnung seiner Reliefs, die
Darstellung der aufs höchste gesteigerten
Leidenschaften, durch die bewunderns-
werte Beweglichkeit und Spannkraft seiner
reichen Phantasie. Diese Eigentümlichkeit
erreichte aber Giovanni erst, nachdem er
längere Zeit mit seinem Vater zusammen-
gearbeitet hatte. Wir hnberr seine Harrd
schoir gefunden an der Kanzel von Siena,
an deren Erstellung er im Jünglingsalter
für halben Gesellenlohn Mitarbeiten durfte.
An dem Brunnen vor dem Domplatze zu
Perugia hat wohl Giovariui beit größeren
Teil gearbeitet. Seine beiden vorzüglich-
sten Werke aber, die uns die ganze Eigen-
art und Größe Giovannis zeigen, sind
die Kanzeln in St. Andrea 31t Pistoia und
die ehemalige Domkanzel zu Pisa, jetzt
rekonstruiert im musseo civico zu Pisa.

(Fortsetzung folgt.)

Stuitsnrt. Buchdruckers! der Akt.-Ges. .Deutsches Volksblatt".
 
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