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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 31.1913

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Nr. 4
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Pfeffer, Albert: Die frühromanische Holzdecke von Balingen, [4]
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Rohr, Ignaz: Eine Prachtausgabe der Gleichnisse Jesu Christi, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16253#0049

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42

gebunden, ihre Pfeile abschießen. Wegen
ihres ruinösen Charakters konnten die
Bilder nicht erhalten werden. Nach Kom-
position, Körperbehandlung, Kostümierung
(gezatlelte Gewänder!) und Farbengebung
stehen sie auf der Stufe des Zyklus aus
bem Leben des hl. Nikolaus in der Niko-
lauskapelle des Konstanzer Münsters, und
gehören dem Anfang des 15. Jahrhun-
derts an. An der inneren Turmwand
fanden sich Reste einer der späteren Gotik
angehörenden Malerei mit einem Stadt-
prospekt, von dem ein Teil sich erhalten ließ.

Auch der frühe primitive Taufstein war
an seinen Seitenflächen bemalt. Es sind
Brustbilder von Heiligen; eine Madonna
mit Kind und eilt Bischof mit Pallium
und Buch. Bei der schlechten Erhaltung
und flüchtigen Besichtigung kann ich mir
ein Urteil über den Wert und die Ent-
stehungszeit nicht zutrauen.

Sine Prachtausgabe der Gleichnisse
Jesu Shristi.

Besprochen von Prof. Dr. Rohr, Straßburg st.

Es war ein Griff hinein ins volle Menschen-
leben, als Jesus die Gaue des heiligen Landes
durchzog und das Reich Gottes verlündete. Das
bezeugten die Massen, die sich um ihn scharten
und sich so hingerissen fühlten, daß sie ihm zu-
liebe Hunger und Entbehrung litten und ihn zum
Könige machen wollten. Worin das Geheimnis
dieses Erfolges lag, das ist schwer zu sagen.
Zunächst mag es die Wucht der Persönlichkeit
gewesen sein, die diese Lehren vortrug und mit
ihrem Leben ganz in denselben aufging; dann
die glänzende Beglaubigung, die ihnen den Vater
gab, indem er den Lehrer mit der Wunderkraft
ausstattete. Der Beivährung und der Bestätigung
entsprach der innere Wert und Gehalt und diesem
das sprachliche Gewand. Wohl verstand es der
Herr, seine Weisheit gelegentlich in kurz gefaßten,
scharf geprägten Sentenzen auszudrücken, ja sogar
in vereinzelten Fällen in geheimnisvollen Rätsel-
worten zu verhüllen, so daß die Hörer sahen und
doch nicht sahen, hörten und nicht verstanden.
Sehr oft aber kleidete er sie in Gleichnisse und
erläuterte sie an Vorgängen, wie sie ihm das
tägliche Leben bot und.darum seinen Hörern auch
wieder verstehen half. Wie sehr sie nicht nur
dem Gesichtskreise, sondern auch dem Sprach-
und Stilgefühl seiner Zeit anaepaßt waren, das
hat erst der.Einblickchöllig verstehen gelehrt, den
die moderne Erforschung; der Schriftdenkmäler
auf antiken Papyrusblättern und Tonscherben er- *)

*) Die Gleichnisse Jesu Christi, illustriert von
E. Burnand, herausgegeben von vr. Hans
Schmidkunz. ' Stuttgart, Verlag für Volkskunst
(Richard Keutel) 1913. M. 16.—.

möglichte. In ihnen redet für gewöhnlich nicht
die an strenge Regeln gebundene Kunst des
Literalen, sondern die Unmiitelbarkeit des Lebens
und die Ungezwungenheit des gemeinen Mannes.
Und gerade diesein Ton wußte der Lehrer aus
Nazareth sich trefflich anzupassen, ohne dabei
trivial zu werden. Diese Popularität, die er
seinem Lehrvortrag zu geben wußte, ist denn
mit einer der Bürgen und Träger ihrer Unsterb-
lichkeit über den Tod und das Grab ihres Ur-
hebers hinaus geworden. War auch der Mund
verstummt, dem er entströmte, und die Gestalt
verschwunden, die ihn verkörperte: das Leben,
dem er entnommen war, erstarb nicht, sondern
weckte in der bunten Wiederkehr seiner Gestalten
und Ereignisse die Bilder, die die Meisterhand
des Herrn aus seinen Tiefen geschöpft. Jedjähr-
lich rief die Saatzeit den Sämann auf die Fluren und
ließ Weizen und Unkraut dein Ackerland entsprossen,
jedjährlich schied die Ernte den Ertrag, barg die
Frucht in die Scheunen und übergab das Unkraut
bem Feuer; jede Arbeitszeit entbot die Arbeits-
willigen auf den Markt und sandte die Grund-
besitzer aus, sie zu dingen; jeder Gang durch
einen wohlgepflegten Weinberg zeigte Mauer und
Zaun, Kelter und Turm, ein Wandeln an deni
See die Fischer, die bald mißmutig die leeren
Netze wuschen, bald freudig die reiche Beute bar-
gen ; jeder Tag führte Hirt und Herde auf die
Trift und geleitete sie durch die Freuden und die
Fährden des Landlebens; jeder Jahresabschluß
versammelte die Verwalter zur Rechenschaft vor
dem Herrn, die Schuldner zur Abrechnung vor
dem Gläubiger und schuf je nachdem Szenen der
Befriedigung oder der Verzweiflung. Jede Hoch-
zeit sah den Chor fackeltragender Jungfrauen
durch die Straßen ziehen; Einladungen an das
Volk kannte man im Stromgebiet des Jordan, wie
am Tiberstrand; Ueberfall und Raub gab es auch
nach den Tagen des Herrn noch auf dem Wege von
Jerusalem nach Jericho wie auf andern Pfaden.
Jedes Handelsvolk kannte den Wert einer kost-
baren Perle und den Wettbewerb um ihren Besitz;
jedes Anwachsen des Reichtums brachte hier die
Sorgen des Bergens und dort die Ueppigkeit,
den Uebermut und die Abstumpfung des Genusses.
Christus hat also dem Volksleben seiner Zeit ge-
lauscht und- gedient. Darum hat er gelebt für alle
Zeiten und einen Hauch der Unsterblichkeit auch
den Bildern geliehen, die er seiner Zeit vor Augen
gehalten, um sie zu mahnen, zu warnen und
umzubilden zum Bessern. So haben denn diese
Bilder mit dem jungen Christentum die Wande-
rung um die Welt angetreten und sind Gemein-
gut der Christenheit aller Zeiten geworden.

Zunächst waren sie allerdings nur im Schreine
der Erinnerung geborgen, und es hing vom Be-
sitze an Phantasie ab, ob sie dem einzelnen Zeit-
alter und Volke in helleren oder trüberen Farben
wiedererstrahlten. Eine Auferstehung in ganz
anderem Sinne aber erlebten sie, sobald der Boden
vorbereitet war für eine eigene, christliche Kunst.

Das Leben war von jeher der Nährboden echter
Kunst. Die Fühlung mit dem Leben war also
die Bürgschaft ihrer Auferstehung. Und sobald
die christlichen Völker jene Reife erlangt hatten,
welche die Entwicklung einer selbständigen Kunst
voraussetzt, belebten sich die Blätter der heiligen
 
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