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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 31.1913

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Nr. 5
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Rohr, Ignaz: Eine Prachtausgabe der Gleichnisse Jesu Christi
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https://doi.org/10.11588/diglit.16253#0066

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55

Line Prachtausgabe der Gleichnisse
Jesu Christi.

Besprochen von Prof. Dr. Rohr, Straßburg.

(Schluß.)

Es sind insgesamt 11 Tafeln, 32 Tabellen-
köpfe, 9 Textbilder und 19 Schlußbilder, unter
sich verschieden nicht nur nach Größe und tech-
nischen Darstellungsmitteln, sondern ebenso durch
Anordnung und Zahl der Figuren, Stiminung
und Ausdruck. Schon die Reichhaltigkeit uno
Mannigfaltigkeit muß anziehen. „Delectat va-
riatio“ und „Wer vieles bietet, wird jedem etwas
bieten", das gilt auch hier. Blag die Geschmacks-
richtung noch so verschieden sein: niemand wird !
das Werk weglegen, ohne sür seine persöirlichen
Liebhabereien sein Genügen gefunden zu haben.
Wer Sinn fürs Kleine, insbesondere für die in-
timen Reize der Pflanzenwelt, hat, der betrachte,
wie naturgetreu die Trauben S. 145 oder der
Feigenbaum S. 67 wiedergegeben find, oder wie
harmonisch sich die Sträucher bei dem Bilde zürn
„Barmherzigen Samaritan" zusammenschließen.
Wer Landschaft und in derselben Stimmung liebt,
der betrachte das Haus auf Felsengrund, das
Irutzig und scharf Umrissen in die Lüfte hinein-
ragl, während Regen, Fluten, Wolken und Nebel-
schwaden sonst alle Konturen nivellieren, oder wie
sicher und anmutig Jericho auf seinem Berge thront
und den Samaritan im Tale einlädt zu wohl-
tuender Rast, wie fein abgetönt der Wüstenrand
gezeichnet ist mit dem Weidegrund vorn, dem Vor-
und Hintereinander der Höhenzüge und Boden-
wellen nach hinten, wie beim „Verlorenen Sohn"
sich vor dem Söller die Gefilde ausdehnen und
im Hintergrund verlieren. Wer am Tierbild seine
Freude hat, der sehe sich einmal den Esel des
Samaritans (Tafel 3) an, wie behutsam und
nachdenklich er den unter die Räuber Gefallenen
tragt, oder das Prachtexemplar von einem Bernhar-
dinerhund, wie besorgt und klug er zu seinem Herrn
und dessen Schützling aufsieht, oder das Eselfüllen,
wie munier es seinen Schritt beschleunigt, weil
es vielleicht an einer Quelle oder an lockenden
Futterkräutern sich versäumt. Wer für Charakter-
köpfe ein besonderes Interesse hat, der sehe sich
den Schriftgelehrten am Schluß des Textes an;
das Selbstbewußtsein, mit dem er sich in seinen
Stuhl lehnt und die eine Hand in die Hüfte
stemmt, mit der andern die Buchrolle hält; die
Schärfe und Ueberlegenheit, mit der er aus dem
Bilde herausschaut, die Absichtlichkeit, mit der er
am Beschauer vorbeisieht, als schwebe vor seinein
Geiste eben eine schwierige Schriftstelle, all das
zusammen wirkt wie eine Illustration zu W. Webers
Rabbi von Bagdad.

Wer auf klare Disposition und geschickte Kom-
position Wert legt, der beachte beim ersten Bilde !
zum „Unbarmherzigen Knecht", wie der Richter
die Szene nach der einen, die Frau mit den Kin- i
dern nach der andern Seite abschließt, wie der
Schreiber iin Hintergrund und der flehtnde Knecht ;
im Vordergrund den Ausgleich nach der durch :
einen Pilaster markierten Mitte hin besorgen; i
ober beim Vollbild zum,, Barmherzigen Samaritan", i
raie der gehende Samaritan und sein vom Last- <
tier getragener Pflegling sich aneinander schmiegen, i

der Bernhardiner nach der einen, das Füllen nach
der andern Seite hin abschließt. Wer Harmonie
zwischen Figuren und Staffage verlangt, der be-
achte, wie beim selben Bilde die Felsen im Hinter-
gründe auseinander klaffen gleich einem raubgierig
sich öffnenden Riesenschlunde, wie das Geröll sich
davor aufhäuft, ein willkommenes Versteck für
lauernde Wegelagerer, und wie anmutig sich in
diesen unbehaglichen und doch zur eben geschehenen
Bluttat vortrefflich stimmenden Hintergrund die
Gruppe des Samaritans, des Verwundeten uno
der Tiere hineinfügt — oder wie der verlorene
Sohn bei der „Heimkehr" sich vor Scham und
Reue rm Schatten eines Baumstammes windet,
wie die Bäume im Hintergrund sich neben- und
! durcheinander schieben, als wollten sie die Hinder-
nisse der Rückkehr noch vermehren, und wie sie
doch den Blick auf das Vaterhaus des Unglück-
lichen nicht verbauen können, sondern dasselbe
anmutig umrahmen und dadurch nur noch reizender
und behaglicher erscheinen lassen. Wer Konzen-
tration verlangt, der betrachte sich das Bild „Der
verborgene Schatz". Auf weit sich dehnendem
und darum unbestimmt gehaltenem Hintergrund,
unter wolkigein, von da und dort hinhuschenden
Lichtreflexen unruhig belebtem Himmel geht ein
Mann dahin, geduckt, als drücke eine Gesahr auf
seine Schultern, ängstlich und unruhig seitwärts
spähend, als wolle er sie anfspüren, vorgebeugt,
als könnten ihn seine Beine nicht rasch genug
tragen, ein Kästchen krampfhaft mit beiden Händen
umschließend, als könnte im nächsten Augenblicke
rohe Gewalt die Faust auf dasselbe legen — ein
sprechendes Bild des Bewußtseins und der Sorgen
um einen kostbaren Wertgegenstand. Wer eine
Steigerung dieser Sorgen bis zur Qual will, der
betrachte den „törichten Reichen" in seiner Schatz-
kammer. Reichtum kleidet ihn, volle Geldsäcke
umgeben ihn, Selbstbewußtsein spricht seine Hal-
tung, und dennoch ist nichts von Behagen, Freude,
Zuversicht und Sicherheit in seinem Antlitz zu
lesen, sondern Sorgen ziehen ihre Furchen über
seine Stirne und Wangen und starren aus seinen
weitgeöffneten Augen: ein lebendiges Fragezeichen
zu dem Hin- und Herraten: „Was soll ich tun?"
Wer sein Behagen an großen Gruppen und der
Belebung weiter Räume hat, der blicke in die
dichtgefüllte, hellerleuchtete und, reichgegliederte
Festhalle, in deren Vordergrund der König zu
dem Eindringling spricht: „Freund, wie bist du
hier hereingekommen?" oder der folge dem Hoch-
zeitszuge durch die engen Straßen einer orien-
talischen Stadt, den die „zehnssklugen Jungfrauen"
eröffnen, und beachte zugleich, wie nach Fug und
Recht der Bräutigani die.'Hauptperson dabei ist
und doch die JungfrauenPeine solche Stellung
einnehmen, daß dieselbe ihre besondere Bedeutung
jedennann sofort zum Bewußtseiit bringt. Wein
die religiöse Kunst von vornherein zu weltfremd
und weltfern, zu fade und öde Vorkommen will,
der betrachte Szenen wie „Die verlorene Drachme",
„Der Sauerteig" oder das Schlußbild zuin „Hoch-
zeitsmahl". Es sind durchweg Szenen aus dem
Leben heraus, und es fehlt ihnen, schon den Typen
nach, die Absicht, zu idealisieren — und dennoch
verrät die Feierlichkeit, mit der das Kind den
Sauerteig bringt und die Mutter ihn entgegen-
nimmt, die Freude, mit der die Frau den Fund
 
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