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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 31.1913

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Nr. 6
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Baur, Ludwig: Tempelmaße, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16253#0069

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2. Die Art, wie Viollet le Duc die
drei verschiedenen Dreiecke zusammensetz-.e,
wirkte freilich wenig überzeugend. — Mitt-
lerweile mar man aber doch in der Er-
kenntnis des antiken Proportionsgesetzes
weiter gekommen, als nämlich Zeifing
in seinem Werk „Neue Lehre von den
Proportionen des menschlichen Körpers,
Leipzig 1864" auf den goldenen
Schnitt als jene grundlegende stetige
Proportion hinwies, die Euklid finden
lehrt. Damit war nun ein Gesetz ge-
funden, das sich wenigstens mit der Man-
nigfaltigkeit der Formen verträgt. Das
war nur ein Zurückgreifen auf sehr alte
Traditionen: in der hellenistisch-römischen
Baukunst, in der Renaissance (besonders
der französischen) war dieses Propoitions-
prinzip in Geltung. Schon int Jahre
1509 halte der Franziskanerbruder Lu ca
Pacioli einen eigenen Traktat „Divina
proporzione“ über den goldenen Schnitt
als ästhetisches Proportionsprinzip ver-
faßt und erhofft davon geradezu das An-
brechen einer neuen Aera').

G n a u t h, F ö r st e r, F r z. X. Pfei-
fer waren warme Verteidiger des gol-
denen Schnittes als architektonischen
Grundmaßes und miesen ihn nicht nur
an Werken der Architektur nach, son-
dern auch in der Plastik, Malerei, ja
selbst (so auch E. Wasmann) an Gebilden
der organischen Natur. — Selbst H.
Wölfflin (Prolegom. 26 ff.) komntt bei
seiner Deduktion der aus das idealste Ruhe
uud Streben in sich vereinigenden Figur
auf den goldenen Schnitts.

Arithmetisch ist der „goldene Schnitt"
irrational. Die meistens für ihn ge-
brauchte einfache Zahlenreihe 3:5:8 ist
nur eine ganz oberflächliche unD wenig
exakte Annäherung ohne jede Inanspruch-
nahme einer mathematischen Prägnanz.
Aber eben in dieser Irrationalität liegt,
wie Fr. Heeber dartnt, sein Vorzugs). * 2

M Derselbe ist von Konstantin Winter-
berg nen herausgegeben in der Sammlung
„Quellenschristen für Kunstgesch. u. Kunsttechnik".
A. F. II. Bd. Wien >889. — Auch Fechner
gab in seiner „Vorschule der Aesthetik", S. i8ö,
191 ii. ö., Ansätze zu einer ästhetischen Wür-
digung des goldenen Schnitts.

2) Siehe F r. H o e b e r, Architekturpropor-
tionen, S. 74.
s) ebb. S. 74 f.

3. Zu einem anderen Grundgesetz der
architektonischen Proportion kam Dehio.
In zwei größeren Schriften vor allem
legte er seine Anschanilngen nieder: „Ein
Proportionsgesetz der antiken Baukunst"
(1895) und „Untersuchungen über das
gleichseitige Dreieck als Norm gotischer
Banproportionen", Stuttgart 1894 (vgl.
dazu „Die Triangnlatur in der antiken
Bankilnst", Ztschr. f. bild. Kunst, N. F.
V [1894], 273 ff.). In der ersten

Schrift will der geistvolle Schriftsteller
die liornlative Bedeutung des gleichseitigen
Dreiecks sowohl für die Front wie für
die Seitenansicht der antiken Tenipel-
fchemata, fiir Triumphbogen, Zentral-
bailten, sowohl antiker, als byzantinischer,
als karolingischer und .der Renaissancezeit.
— In der zweiten Schrift versucht Dehio
den Nachweis, daß der in den mittelalter-
lichen (gotischen) Bauten liegendesmodrüus
das gleichseitige Dreieck sei, während er
die altchristlichen Basiliken ans diesem
Proportionsschema ausnimmt. Auch die
spätmittelalterliche Kunst (etlva vom 14.
Jahrhundert ab) habe diese triangnlato-
rische Regel auffallend schnell verlassen
mii) vergessen.

Dehio konnte für seine These sehr be-
achtenswerte Beweise beibringen: nicht nur
zeigte sich die Nichtigkeit seiner Messungen
an einer Reihe von antiken rmd mittel-
alterlichen (gotischen) sowie Renaiffance-
gebäuden, sondern er fand auch eine be-
deutsame Bestätigung seiner Messungen
in der schematischen Zeichnung des Mai-
länder Domes, die Gabriel Stornacolo
i. I. 1391 angefertig hatte (veröffentlicht
bei Ln ca Beltrami, La Certosa di
Pavia, S. 42), und in einem v. I. 1592
veröffentlichten Kupferstich von St. Petro-
nio in Bologna. — Die großen Renais-
sancekünstler triangnlierten gleichfalls: so
Brunnelleschi und Alberti, Bramante,
Raffael und Michelangelo.

Beachtenswert ist, daß auch diese Pro-
portion des gleichseitigen Dreiecks ein
arithmetisch irrationales Verhältnis hin-
sichtlich des Verhältnisses der Grundlinie
zum Perpendikel darstellt. Sie i|t ein
geometrisches Verhältnis. Darauf scheint
ihr ästhetischer^Wert zu liegen: Dehio
nennt (ähnlich wie Viollet le Duc) das
gleichseitige Dreieck unter den unendlich
 
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