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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 31.1913

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Nr. 8
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Reiter, Joseph: Sankt Rolandus?
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https://doi.org/10.11588/diglit.16253#0091

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80

ein Zeichen, daß Kaiser Karl der Große einst
hier war und den Ort mit kaiserlicher Frei-
heit begnadete. Am interessantesten ist
das dritte Beispiel, eine aus dem drei-
zehnten Jahrhundert stammende Glas-
malerei im Kirchenfenster Karls des Gro-
ßen in der Kathedrale zu Chartres, iu
welchem der sterbende Noland mit seinen
letzten Wundertaten in der Schlacht von
Ronceval zweimal auf einein kreisrunden
Bilde dargestellt erscheint. Hinter einem
Haufen Erschlagener stehen die beiden
Nolandgestalten, Nucken gegen Nucken,
zwischen ihnen ragt vom Himmel eine
Hand aus Wolken herab. Dnrindarda
soll den Feinden nicht zur Beute werden,
wenn der Gottesstreiter nicht mehr lebt.
Vergebens hat er sich angestrengt, das
teure Schwert am Felsen zu zerschmettern.
Durindarda hat einen tiefen Spalt in
den Stein geschlagen. In höchster Todes-
not setzt Noland das Horn Olifant zum
letzten gewaltigen Nus an den Mund.
Der sterbende Held ist dem Ziele der Ver-
klärung nahe; das Haupt ist ihm auf
beiden Bildern vom Heiligenschein um-
flossen.

2llle diese drei Darstellungen können
wohl den Gedanken nahelegen, daß hier
Roland als Heiliger dargestellt sei, allein
durchschlagende Beweiskraft können sie
kaum beanspruchen. Heiligenbezeichnnng
und Heiligenschein haben früher nicht die
Bedeutung gehabt, welche sie jetzt haben.
Das Wort Sanctus kommt selbst ans
heidnischen Inschriften öfters als Ehren-
bezeichnung für hervorragende Personen
vor, und ebenso ist erwiesen, daß man
bisweilen Königen und Großen während
ihres Lebens auf Gemälden oder Bildern
einen Heiligenschein gab. Die Tatsache
selbst, daß Roland vor oder in der Kirche
im Bilde erscheint, darf vollends nicht
besonders betont werden, wenn man den
Beweis für die Auffassung Nolands als
eines Heiligen erbringen will.

Bekanntlich ist die Kirche im Mittel-
alter in der Auswahl ihrer Sujets für
die bildenden Künste nicht ängstlich ge-
wesen: sie hat weltliche und heidnische
Motive — die Tendenz mochte teilweise
eine geistliche gewesen sein — nicht ver-
schmäht, sondern öfters aufgegriffen und
auch Liebesmärlein Gastrecht rn ihren

Räumen gewährt. In letzterer Hinsicht
seien nur zwei Opfer des Liebesgottes
erwähnt, Virgil im Korbe (an dem Kapi-
tal eines Pfeilers im linken Seitenschiffe
der Kirche 8. Pierre de Caen in Frank-
reich, und an einer Säule im Kreuzgang
zu Cadouin in der Dordogne) und Ari-
stoteles mit Phpllis, oder der zelternde
Aristoteles (am Chorgestühl der Kathedrale
von Rouen).

Kommen wir noch einmal auf die Dar-
stellung Rolands in Chartres zurück. Es
ist leicht denkbar, daß in derselben nur
der Held gefeiert werden sollte, welcher
für die Sache Gottes gelitten und ge-
stritten, allein auch der Gedanke ist nicht
von vornherein abzuweisen, daß das Bild
in Chartres im Dienste der Gerichts- oder
Gerichtsbarkeitsidee gestanden. Wir möch-
ten zur teilweisen Rechtfertigung unserer
Vermutung einen Passus ans Veissels
Studie über die Kirche des hl. Viktor zu
Xanten II S. 13 heranziehen. In den
gemalten Chorfenstern der Viktorskirche
sah man ehedem die Bilder der hl. Helena
und ihres Sohnes Konstantin, und unter
denselben waren zwei Inschriften ange-
bracht, in denen sie redend eingeführt wur-
den. Die Kaiserin-Mutter sagte:

Edicto defende tuo fratres, rogo
fili,

Praedia cum populo Victoris mar-
tyris almi.

Schütze, ich bitte dich, Sohn, durch dein
Gesetz die Brüder (Stistsherren), die Güter
und das Volk des hehren Märtyrers Viktor.

Der Kaiser antwortete:

Eibertarnus ea, quae poscis mater
Helena,

Bannimus pravos, priinum virgis
bene caesos.

Wir bewilligen freigebig, was du Mut-
ter Helena begehrst; wir verbannen die
Bösen, nachdem sie zuerst mit Nuten scharf
gestraft sind. Das Stift sah in diesen
Versen einen Beweis für die alte Ansicht,
daß es dem ersten christlichen Kaiser das
Recht verdanke, seine Angehörigen an
Leib und Gut zu strafen. Wie es einen
Teil seiner geistlichen Gerichtsbarkeit in
der Vorhalle der Kirche vor der roten
Türe ausübte, so ließ es einen anderen
Teil der mehr weltlichen Gerichtsbar-
keit, an einem Orte verwalten, welcher
 
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