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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 31.1913

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Nr. 9
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Baur, Ludwig: Unsere Aufgaben gegenüber der kirchlichen Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16253#0097

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86

Einheit des Glaubens int Mittelalter, die
Glaubensfreude, die beispiellose Frei-
gebigkeit für religiöse und kirchliche Kunst-
zwecke, um von da ans einen Satz anf-
zustellen, dem er grundlegende Bedeutung
Anerkennt: „Die Kunst des Mittelalters
und der Folgezeit ist Niederschlag der
Lebensauffassung der jeweiligen
Geschlechter." — Unverkennbar will der
Verfasser diesen Satz zur Erklärung der
Wandlungen auch in der formalen
Stilistik verwenden. Denn er fährt
unmittelbar fort: „Die Kenntnis, uub
zwar die echte, nnrsassende historische
Kenntnis des Zusammenhanges und der
Entwicklungsbeoingungen unserer Stile
schützt allein und gründlich vor ihrer
falschen Bewertung, schützt nachhaltig vor
den üblen Einflüssen einer Elementar-
schulästhetik, die vergangene Dinge über-
wertet, indem sie ihnen nicht temporäre,
sondern Ewigkeitsdauer uub damit auch
unsterbliche Gültigkeit beimißt. Wer
immer hier die Bedeutung der Zeit-
strömuugen und Unterströmuugen erkennt
uub erfaßt, der wird außerhalb der Kreise
der Leute stehen, welche noch heute allen
Ernstes die Frage stellen: „in welchem
Stile wollen wir arbeiten?" Es gibt
s ti r j e d w e d e G e n e r a t i o n d e r W e l t-
cg e s ch i ch t e nur einen e i n z i g e n S t i l,
uub das ist der ans den Lebens-
bedingungen und der L e b e n s a u s-
fassung der Zeitgenossen ohne
T r e i b h a u s k u l t u r h e r a u s w a ch-
sende. Wäre dem nicht so, dann fehlte
uns ja die Ausdrucksform für mancherlei,
das den früheren Jahrhunderten völlig
unbekannt, das Spezimen unserer Zeit
ist; würden wir keine neuen Stile mehr
in der Kunstgeschichte anftauchen sehen,
wir könnten sicher sein, daß entweder der
Kulturfortschritt stagniere, oder doch zum
mindesten so wenig tief gehe, daß die
Menschen nicht imstande wären, in ihm
und mit U)m zu fühlen und ans ihm
heraus eine Sprachform für die Kunst
zu finden."

Ich habe diese Stelle wörtlich her-
gesetzt, da mir daran liegt, den allge-
meinen Standpunkt, von deul der Ver-
fasser ansgeht, richtig anfznfassen und
wiederzugeben. Leicht hat er dies seinen
Lesern nicht gerade gemacht. Denn es >

scheinen mir hier verschiedene Dinge
durcheinander geworfen zu sein. Und
mit solchen allgemeinen Sätzen ist es
immer eine seltsame Sache: sie verlieren
in ihrer Allgemeinheit an greifbarem
Inhalt und an Bestimmtheit, und wenn
man sie ans ihre konkreten Anwendungs-
möglichkeiten durchprüft, dann zerfließen
sie in Nichts, oder es bleiben ein paar
ziemlich banale Wahrheiten als Rest
übrig. So scheint mir die Sache auch
zu liegen mit dein Einfluß der „Kultur"
oder der Weltanschauung, oder „Lebens-
auffassungen" auf den Stil! Viel an-
nehmbarer natürlich ist ein solcher Ein-
fluß der „Lebensauffassungen" ans die
„Kunst" im allgemeinen gesagt.

Beides, „Stil" und „Kunst", scheint
mir in diesem Zusammenhang durch-
einander gemischt. Wir werden später aus
diesen Punkt zurückkommeu.

Eine zweite vom Verfasser als grund-
legend bezeichuete Wahrheit ist darin ge-
geben: „Wo inrmer das historische Denken
und Fühlen stark, da steht der Menschen -
geist unter dem Einfluß vergangener
Zeilen. Daß er dabei stets den Ab-
schnitten der Geschichte mit dem Herzen
mit nächsten steht, die ähnliche — gleiche
ist unmöglich —• „Lebensbedingungen"
zur Grundlage und zum Ausgangspunkt
hatten, wie die augenblicklichen, das ist
selbstverständlich" (Sp. 9).

Wie der Verfasser diese Sätze versteht
und verstanden wissen will, ergibt sich
aus den geschichtlichen Beispielen, die er
anführt. Er verweist daraus, daß „die
Entwicklung zu Anfang des vorigen (19.)
Jahrhunderts eine Hemmung erfnhreu
mußte, nachdeut fast zwei Jahrzehnte
einzig Kanonen und Schwerter gesprochen,
nachdein die „Ausklärnngsperiode" wie
ein gefräßiger Wurm am alten Gebäude
der Kirche hernmgenagt hatte, mit ihr
Mark und Blut verdorren zu lassen, uub
ihr damit die Lebensbedingungen zu
nehmen. Skepsis, Nüchternheit, Kälte in
Theologie und Religiosität ließen keine reli-
giöse und kirchliche Kunst uufkoinmen." -

Wie ganz anders die Romantik! Sie
betonte „zunächst" das Inhaltliche in
der Kunst. — Richtig bemerkt Dr. Witte:
„Wenn die religiöse Kunst nicht eben
sich selbst Zweck sein soll (was heißt das?),
 
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