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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 31.1913

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Rohr, Ignaz: Die christliche Kunst auf der Weltausstellung in Gent
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https://doi.org/10.11588/diglit.16253#0133

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ohne Unterschied des Stils gestellt werden zu
tonnen, und doch wieder zu charakterlos, um
durch den Eigenwert sich in der fremden Um-
gebung durchzusetzen. Es mag ja sein, daß da
und dort der Wille des Stifters besser war, als
seine Finanzen, daß also der moralische Wert
der Gabe größer ist, als der künstlerische. Des-
halb ist aber dem Schund noch nicht die Kirche
auszuliefern. Sondern wer allein nichts Wert-
volles zu stiften vermag, der möge sich mit an-
dern zusammentun oder sein Scherflein der
Stiftung zur Verfügung stellen, damit sie es
zurücklege, bis weitere Gaben dazugekommen sind
und etwas beschaffen werden kann, was des Got-
teshauses würdig ist.

Derartige Störungen wie die genannte durch
Stilmischung gibt es auf der Genter Ausstellung
nicht. Dank der glücklichen Raumdisposition
einerseits, der Reichhaltigkeit der Ausstellungs-
objekte anderseits ist es gelungen, in den ein-
zelnen Nischen, Apsiden usw. je ein annähernd
harmonisches Ganzes zu schaffen. Die Sache
war auch dadurch erleichtert — und das ist
iveniger erfreulich — daß die Gotik fast alles
beherrscht, der romanische Stil spärlich, die spä-
teren fast gar nicht vertreten sind. Aber inner-
halb dieses etwas verengerten Rahmens bot sich
ein sehr reiches und belebtes Bild. Die Bau-
kunst, die Monumental-, Tafel- und Glasmalerei,
die Bildhauerei, Kunstschreinerei, die Gold-
schmiede-, Schmiede- und Buchkunst sowie die
Paramentik waren vertreten. Es kam also
jeder Zweig kirchlicher Kunstübung zum Wort,
und jeder — mit ganz wenigen Ausnahmen —
in würdiger Weise. Technische Mängel waren
fast keine zu konstatieren, sei es, daß die Schu-
lung durchweg so tüchtig, sei es, daß die Aus-
stellunaskommission so streng war. Was am
ineisten in die Augen springt, das ist die enge
Fühlung mit ben Vorlagen des Mittelalters.
Mit welch liebenderund pietätsvoller Sorgfalt hier
gearbeitet wird, zeigt am besten ein Blick auf die
in natürlicher Größe ausgeführten Modelle für
die Restauration ganzer Turm- und Kirchenpar-
tien nach der architektonischen wie nach der pla-
stischen Seite. Die dadurch geschaffene Not-
wendigkeit, sich so in die Neste des Alten, also
in die Vorzeit zu versenken, daß man aus ihrem
Geiste heraus und in ihrer Formensprache zu
schaffen und das Neue dem Alten anzupassen
vermag, ohne einfach zu kopieren, die ist die
beste Schule. Hier wird die Losung des Dichters
zur Tat: „Was du ererbt von deinen Vätern
hast, erwirb es, um es zu besitzen." Die Früchte
liegen denn auch klar zutage. Selten habe
ich moderne Statuen und namentlich Statuetten
in gotischem Stil gesehen mit einem solchen Fluß
der Linie, einer solchen Geschlossenheit der Sil-
houette und einem solchen Liebreiz des Gesichts-
ausdrucks. Insbesondere einige Madonnen-
statuetten in Elfenbein machen einen entzückenden
Eindruck. Dabei ist die Mittelmäßigkeit aller-
dings anch zur Genüge vertreten. Die Reliefs,
die zu sehen waren, verdienen fast durchweg
Anerkennung und vermeiden die krassen Ver-
irrungen, zu denen gerade dieser Kunstzweig

geführt hat, ebenso die Glasmalereien. Von den
Werken des Pinsels wollten mir die allerdings
spärlicheil Proben monumentaler Malerei besser
gefallen, als die Tafelbilder. Tie Erinnerung
an Rogier van der Wegden, Hans Memling,
Hubert und Jan van Eyok drückt auf sie. Die
Buchkunst war gut vertreten, ebenso die Gold-
schmiede- und Schmiedekunst, wenngleich mir
die naturalistische Nachahmung van Mauer-
werk usw. durch den Goldschmied nicht gefallen
will. Sind auch Fialen, Wimperge und andere
gotische Bauglieder an einer Monstranz nicht zu
vermeiden, so will doch Metall anders behandelt
sein, als Haustein. Die Paramentik einschließlich
der Teppichwirkerei hatte reichlich ausgestellt
und bot namentlich eine Reihe prächtiger Nadel-
malereien. Weniger konnte ich mich für die Farben
des Grundtones begeistern. Bei Meßgewändern
deuchten sie mir teilweise zu schwer, bei Teppichen
zu bunt und grell. Mag sein, daß sie aus alte
Vorlagen zurückgehen. Aber es gibt eben auch
Vorlagen mit weniger aufdringlichem Kolorit,
und die dürflen dem modernen Geschmack doch
wohl besser entsprechen.

Firmen zu nennen, hat hier keinen Zweck.
Es ist unnötig, der Kunst und dem Kunsthand-
werk in der Heimat des Archivs für christliche
Kunst das Wasser abzugraben und dasselbe
in Gebiete zu leiten, mit denen das Schwa-
benland den Vergleich nicht zu scheuen braucht.
Es soll damit nicht alles gelobt werden, was auf
schwäbischem Boden produziert wird.

Bei einer ganzen Reihe von Gegenständen ist
dein Namen des Ausstellers angefügt: gildes
d’anciens eleves des ecoles St. Luc oder
Gilden van oud-leerlingen der St. Lucas-
scholen. Wer von England konimt und dort
die mannigfachen und bis zu großen Stiftungen
gehendeir Beweise der Anhänglichkeit an die
frühere Schule gesehen hat, der findet nichts
Befremdliches an einer solchen Angabe des
geistigen Stammbaumes. In Deutschland ist
man sie nicht gewöhnt, aber man könnte daraus
lernen nach zwei Richtungen: einmal eine straf-
fere Organisation des Betriebs und der Aus-
bildung. Dabei würde allerdings dem einen
und andern die Lust zur Errichtung eines eigenen
„Ateliers" vergehen, aber auch das Ringen
zwischen Leben und Sterben und der drohende
oder gar faktische Bankrott erspart bleiben;
sodann das Zurückgreifen auf die alten Vor-
bilder. Auf diesem Wege haben Morris und seine
Gesinnungsgenossen der englischen Kunst und
namentlich auch dem Kunsthandwerk neuen Odem
eingehaucht und dabei verhältnismäßig rasch eine
stelbstverständliche und unvermeidliche, aber schließ-
lich doch zu überwindende Schwierigkeit besiegt,
nämlich die sklavische Abhängigkeit von der Vor-
lage, das bloße Kopieren des Ueberlieferten unter
Verzicht auf jede selbständig-schöpferische Tätig-
keit. Die belgische Kunst ist noch mitten drin
in diesem Kampfe, aber eine Reihe ihrer Vertreter,
namentlich auf den: Gebiete der Plastik, hat ihn
bereits überwunden und vermag im Geiste der
Vergangenheit, aber unter Wahrung der Selb-
ständigkeit, zu schaffen.

Stuttgart, Buchdrnckerei der Akt.-Gel. „Deutsches Volksblatt".
 
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