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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 32.1914

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Nr. 5
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Pfeffer, Albert: Der Kirchenbau in Lautlingen, OA. Balingen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16254#0055

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Rhythmus des lagernden Baues aus im
Gegensatz zu den gotischen Bauten, die
das Aufstreben der Massen künstlerisch
ausdrücken wollen. Aus reinen Zweck-
uläßigkeitsgründeu, nämlich der Erdbeben-
gesahr und aus Sparsamkeitsrücksichten,
mußte das Moment des Ausstrebeus der
Baumasseu möglichst zurückgedräugt tver-
den zugunsten einer breiten, sicheren
Lagerung, die beut Erdbeben möglichst
wenig Spielraum zu Verheerungen bietet.
Es ist nun eine inlereffaute Beobachtung,
daß in der Spätgotik, als die Alleinherr-
schaft der aufstrebenden Rhythmen langsam
zu Ende ging, der breitlagernde Hallen-
bau anfkam, der int Renaissance- und
Barockzeitaller in der Konstruktion und
nacl; der Seite der künstlerischen Durch-
bildung itnb Ausgestaltung hin zu hoher
Vollendung gebracht wurde. An diese
letztere Entwicklnugsphase knüpft das
Systent des Lautlittger Kirchenbanes an,
indein er äußerlich als ein verhältnis-
mäßig niederer, breit gelagerter Ban er-
scheint, von einem großen ruhigen Dach
überdeckt, dessen Inneres aber überrascht
durch Weiträmuigkeit, drrrch schöne, glück-
liche Verhältnisse und reiche Belebung
der Baumassen. Rur in dem alten, aus
dem Anfang des 17. Jahrhunderts ent-
stammenden Turnt und ül bent ge-
schwungenen Giebel der Fassade ist der
Höhenentwicklnng ein gewisser Spielraunt
gelassen. Dadurch komrnt in das Bild
der Baugruppe ein gewisses Ringen zwi-
schert breiter Lagerung und bem Auf-
strebeu der Massen. Aber spricht sich
dieser Kampf nicht auch in der Lautlittger
Landschaft mit ihren weichen breiten Braun-
jurahängen und Kuppen und den plötzlich
und unvermittelt aufsteigenden Weißjura-
felsen aus? Gerade dieses Moment verleiht
bem Bild der Lautlinger Kirche eitle
frische Lebendigkeit und Unmittelbarkeit
und gibt ihr eine innere Berechtigung;
man hat beit Eindruck, daß die Land-
schaftslinien in bem Bauwesen weiter-
schwingen und die Massenverteilnng zwi-
schen Berg und Tal in bem Kirchenbau
ihr Nachbild hat, daß der Neubau tiicht
als Frentdkörper in dem schönen Dorf-
bild drinsteht, sondern als ein mit dem
Dorf organisch verwachsenes Bauwerk.

Während die Anßenpartieu ganz schlicht

nitb schmucklos behandelt sind, ist auf die
Ausbildung des Mittelbaus der Fassade
tnehr anfgewettdet worden: er ist geglie-
dert durch Wandpilaster und kräftige Ge-
simse, abgedeckt mit weich geschwungenen
Volutett und über dem Hauptgesims mit
der mächtigen Standfigur des hl. Johau-
ties des Täufers, des Kirchenpatrons, ge-
schmückt. Bildhauer Frattz Marino tt
in Sigmaringen hat den Heiliget! als
Wegbereiter hin zu Christus trefflich
charakterisiert. Interessant ist die tech-
nische Ausführung der überlebensgroßen
Figur, die mit der Giebelwand gemeinsam
in Eisettbetott gestampft und tiach bem
Ausschalen bearbeitet worden ist. Die
untere Hälfte der Fassade ist belebt durch
ein feinprofiliertes, mit Rankengeschlinge
umzogenes Rnndbogenportal mit Kupfer-
vordach und einer breitet! Freitreppe,
lieber dem Hattptportal ist die Bauinschrift
eingelassen, von zwei beit Bau tragenden
Engeln flankiert, eine Arbeit des Bild-
hauers B l ü tu h u b e r in Stuttgart, von
bent auch das ausdrucksvolle Brustbild
des einladendett Christus in Relief atu
Männerportal ansgeführt ist.

So schlicht sich der Anßenbau gibt, so
überraschend weiträumig und feierlich wirkt
der Jnueuranm. Gerade ans die
Rautnbildung ist bei Anfstellutig des Bau-
programttts der größte Nachdruck gelegt
worden. Die Gliederutig des Jnnen-
raums ist einfach, übersichtlich und zweck-
entsprechend , gilt abgerundet durch den
weichen Schwung der Linien, ohne jeg-
lichen überflüssigeu und aufdringlichen
Schmuck. Beherrschend ist das 10 m
weite, 25 m lange Mittelschiff, überwölbt
von einer flachen Tonne in Eisenbeton,
die in kassettenartige kleine, mit Stuck ge-
gliederte Felder aufgelöst ist. Währettd
die massiven Tonnengewölbe der rotna-
nischen Kunst wegen ihres sehr starken
Seitenschubs gewaltige Pfeiler benötigten,
oder die Barock- und Rokokomeister diese
Gewölbe in Rabitz oder Holzlattung aus-
führten und sie am Dachgebälk anfhingen,
reizte es die Architekten, die konstruktiven
und künstlerischett Traditiotien der Sitten
in neuer technischer Gestalt zur Anwen-
dung und Ausbildung zu bringen, über
die Nachahmung überlieferter Gewölbe-
formett hiuauszukommen ttnb aus dem
 
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