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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 32.1914

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Nr. 7
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Baur, Ludwig: Friedhofanlage und Friedhofkunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16254#0073

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64

allgemein menschliche (humanistische) Auf-
fassung als ungenügend, den Charakter
des Gottesackers nicht voll und ganz zum
Ausdruck bringend, bezeichnet werden *).

Aus diesem Grunde verträgt es sich
auch nicht mit der weihevollen Stimmung

') Aus diesem weihevollen Charakter des
Gottesackers leitet sich mit Recht die Forderung
her, daß seine Umgebung auf oenselben abgestimmt
sei: zunächst dadurch, daß keine lärmenden Be-
triebe, Unternehmungen, Wirtshäuser, Fabriken
und Tingeltangel in die Nähe der Friedhöfe
kommen. Besonders energisch hat E. Högg
diese Forderung vertreten: „Man braucht sich
doch nicht Zustände gefallen zu lassen, wie sie in
unseren Städten an der Tagesordnung sind und
mit gleichgültiger Ergebenheit als etwas hinge-
nommen werden, was nun einmal nicht zu ändern
ist. Wer stößt sich denn heute noch daran, wenn
an der Staotgrenze zwischen Schrebergärten,
Alteisenanlagen, Fußballspielplätzen und Riesen-
reklametafeln gelegentlich auch ein Friedhof mit
unterläuft? Wenn auf dem Montinartre in
Paris ein mächtiger eiserner Viadukt gerade über
die prunkvollen Grabgrüfte hinwegführt, so lächeln
wir überlegen: „Die Romanen empfinden eben
nicht so tief wie wir Germanen, sonst hätten sie
ihren Viadukt anders herum geführt." Wenn
wir aber dann bei uns zu Hause nachschauen
und finden, daß es da nicht besser bestellt ist,
so haben wir allen Grund, uns zu schämen.
Denn Bahnhöfe, Wassertürme, Gassabriken
und Mietskasernen schauen auch bei uns aus
unmittelbarer Nähe über die Friedhofmauer.
Gibt es ein abstoßenderes Bild, als ein Grab,
vor dem die Trauernden stehen, während die
Vorortszüge dran vorbeidampfen? Verpuffen
nicht in solch unwürdiger Umgebung alle unsere
Trostworte. . . ? Wer kann an einein solchen
Grabe beten, wo ihm der Lärm der Fabriken
die Gedanken abschneidet?"

Högg macht daher folgende Vorschläge:

1. Man lege neue Friedhöfe so, daß nach
menschlichem Ermessen die städtische Bebauung
sie nicht erreichen kann. Also weit weg, z. B.
in den Wald hinein. . . .

2. Man lege ein für allemal um jeden Fried-
hof einen neutralen Grünstreifen von beträcht-
licher Breite mit hohen Alleenbäumen besetzt.
Er wird verhindern, daß die Nachbarschaft allzu
nahe heranrückt, und späterhin bei der Auflassung
des Friedhofs wird er eine willkommene Ver-
größerung des Geländes abgeben.

6. Ost genügt unter sehr ungünstigen Ver-
hältnissen schon eine Umschließung des Friedhofs
mit Mauern und Gruftkapellen, die ausdrmg-
liche Nachbarschaft vergessen zu lassen. Daher
sei die Anordnung von hohen Mauern und an-
geschiniegten Arkaden bei der Anlage jedes Fried-
hofs empfohlen, der jemals unliebsame Nachbar-
schaft befürchten muß.

Die 4. und radikalste Forderung aber heißt:
Man lasse jeden Friedhof, der von dem Wachs-
tum der Stadt überrascht und uinzüngelt worden
ist, nicht weiter benützen.

und Würde des Gottesackers, wenn der-
selbe als Nutzungsplatz betrachtet, mit
Obstbäumen bepflanzt und mit Gras be-
sät als Mähewiese oder Weideplatz benützt
wird x). Ebenso fällt es ganz aus dem
Rahmen der Zweckbestimmung unb der
weihevollen Würde und Heiligkeit des
Kirchhofs als locus sncer heraus, wenn
man neuerdings das Ansinnen stellte, auf
dem Gottesacker Rist- und Bruthäuschen
für die Vögel anzubringen. Dazu ist der
Gottesacker nicht da.

(S in Friedhof, der nicht die tiefen, ernsten
Gedanken auszulösen vermag, welcheHamlet
in der literarhistorisch bedeutsamsten
Kirchhofszene der Weltliteratur ausspricht,
hat seinen Berns verfehlt. Friedhof rnuß
Friedhof bleiben!

2. Der landschaftliche Fried-
hofs. — Die Erkenntnis des neuentstan-
denen Problems, das in dem Verhält -
iris desFriedhofszurLandschas.t
liegt, teils der Gedanke, später bei Auf-
lassung der Friedhöfe geeignete Parkan-
lagen für die aufstrebenden Städte zu be-
kommen, hat zu der Forderung land-
schaftlicher Friedhöfe geführt. Die
bisherige Gottesackeranlage war eine streng
regelmäßige mit geraden Wegführungen
und sehr geringem gärtnerischen Schmuck.
Heute fordert man eine landschaftliche
Anlage. Der Gottesacker soll mit seiner
landschaftlichen Umgebung in befriedigen-
den Einklang gesetzt werden. Wälder
und Felder, Hügel und Tal, Berge und
Höhen sollen ihn: als wirkungsvoller
Nahmen dienen. Und auch da, wo der
Friedhof diesen landschaftlichen Rahmen
nicht hat, wo er in eine gewöhnliche Ebene

*) H. Merz (Prälat) konstatiert: „Die ratio-
nelle Nützlichkeit der Zeit hat . . . bis in unsere
Tage vielfach die Gottesäcker als Gras- und
Weideplätze, ja als Rübenäcker verwendet und
verpachtet. Auf den frischen Gräbern wurde
saftiges Kraut gezogen, ohne daß Geistlichkeit
und Gemeinde ein Arg dabei hatten." Zitiert
aus Hüttenrauch, . . . der S. 34 sagt:
„man lasse doch alle landwirtschaftliche oder
gärtnerische Ausnützung des Friedhofgeländes, die
dem Friedhof seinen Frieden und seine Weihe
nimmt. Keine Bienenstände, Rübenselder, Kar-
toffelbeete, Fülterweideii, Bleichplätze."

2) Ueber die landschaftlichen Fried-
höfe vergl. das Werk H a n s P i e tz n e r (Garten-
architekt in Breslau), Landschaftliche Friedhöfe.
Leipzig (Scholtze) l904. — M. v. Lasser, Der
neue östliche Friedhof zu München. 1912.
 
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