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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 32.1914

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Nr. 7
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Rohr, Ignaz: Ein Museumsgang in London, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16254#0078

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69

Hauer und Dichter anschließen. „Natur-
treue" uud „Seelentiese" waren die posi-
tiven, „gegen akademischen Schablonen-
und Traditionszwang und alles Banausen-
tum" die negativen Seiten ihres Pro-
gramms. Prärafaeliten nannten sie sich,
weil ihnen die Kunst vor Rafael sich be-
sonders empfahl durch ihre jeden Gras-
halm und jedes Blümchen beachtende
Naturtreue und ihre Schlichtheit, während
Rafael, namentlich seit seiner Uebersied-
lung nach Rom, und von da an die ge-
samte hohe Kunst die Natur meisterten
uud ihrer Willkür unterordneten. Der
Propaganda der Tat, den Gemäloen
nach der neuen Kunstauffassung, gesellte
sich die Propaganda des Wortes bei und
schuf für die neue Richtung im Jahr 1850
ein eigenes Organ: The Germ („Der
Keim") genannt. Der erste Erfolg schien
denn auch ein völlig lückenloser zu sein,
uud die ersten Gemälde der Verbrüderung
fanden ungeteilten Beifall. Aber schon
nach kurzer Zeit hatte sich das Blatt
gründlich gewendet. The Germ ging
ein, nicht etwa infolge Heftigen Wider-
spruchs von irgend einer Seite, sondern
infolge Abonnentenmangels, also völliger
Gleichgültigkeit des Publikums. Ja, in
den Gemälden der Verbrüderung sah
man eine Schändung der Kunst nach
Inhalt und Form. Da erstand den Be-
drängten der beste Anwalt, den sie sich
hätten wünschen können: John Ruskin.
Es war kein Zufall. Hatten sie doch
mit Freuden in seinen Modern Painters
die Grundsätze wiedergefunden, zu denen
sie sich mühsam durchgerungen. Nun
sah er umgekehrt in ihren Werken reali-
siert, was sich ihm als Programm für
eine zeitgemäße Kunst ergeben. Es war
also streng genommen seine eigene Sache,
für die er eintrat. Aber eben durch sein
Eintreten und seine Autorität hals er
vielen über die Bedenken gegen das Un-
gewohnte und Befremdliche an oer neuen
Richtung hinüber. Eine ihren Grund-
sätzen entsprechende Kunsttheorie in nuee
hatten seine Schützlinge allerdings schon
in ihrem eigenen Organ geboten, obgleich
dasselbe sich nicht über die vierte Nummer
hinaus zu halten vermochte. So hoben
sich die Schwierigkeiten ziemlich rasch,
und ebenso rasch folgten sich die Brlder.

Nicht der erste der Verbrüderung, aber
der Bahnbrecher für die neuen Ideale
war Ford Madox Brown, seiner-
seits wieder beeinflußt durch Dyce. Aus
der Akademie für dunkel getönte Historien-
bilder eiugeübt, läßt er sich durch die
altflaudrische Kunst uud die Italiener des
Quattrocento für Licht uud Luft begeistern.
Wie man sie jedoch auf die Leinwand
bringen könnte, das wußte ihm niemand
zn sagen, sondern er mußte sich mühsam
vor der Natur selber dazu durchkämpseu.
Aber fortan atmen seine Historien wenig-
stens Licht und Luft. Beim Abschied
eines Freundes kommt ihin der Gedanke,
sich mit seiner Familie vor all den Angriffen
und Mißverständnissen nach Indien zu flüch-
ten. Er setzt ihn nicht in die Tat um, aber
er wird ihm zur künstlerischen Tat in seinem
„Abschied von England" und bedeutet für
ihn die Eroberung des modernen Lebens,
ohne ihn der Geschichtsmalerei zu ent-
fremden. Licht und Luft, Gemütstiefe
uud Naturwahrheit, Bewegung und Leben
sind fortan die Signatur seiner Kunst, in
welche sich Geschichte, Sage und Hl. Schrift
teilen. Die Tate-Galerie bietet seine Fuß-
waschung (beim Bekanntwerden verschrieen
wegen unwürdiger Behandlung der hl.
Gestalten, heute unbeanstaudet, aber zu-
gleich hoch gewertet um der Gemütsliefe
willen) und Chaucer am Hose Eduards III.
(eine im Stil der alten Chroniken gehal-
tene schlichte, aber lebenswahre Szene).

In der unverbrüchlichen Treue gegen
die Natur war Hol mau Hunt am nächster
verwandt mit M. Brown. Glaubte er es
doch dieser Treue schuldig zu sein, sein
Anwesen zu verkaufen, um für biblische
Darstellungen im hl. Lande selbst Studien
zu inachen, für die verklärten Opfer des
bethlehemitischenKindermordesnichtRiodelle
aus der Jugend Jerusalems, sondern Beth-
lehems verwenden, für nächtliche Szenen
mit dem Lichte in der einen Hand ganze
Nächte hindurch malen zu müssen. Diese
Treue im Kleinen war ein feger Damm
gegen alle Phantasterei und Exaltiertheit.
Zur Klippe kann sie freilich auch werden
uud den Maler so anr Detail kleben lassen,
daß er und der Beschauer die Uebersicht
uud den Sinn für die Gesamtwirkung
verlor. Doch gelang es ihm im großen
ganzen, die Gefahr zu vernwideu, und
 
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