Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 32.1914

DOI Heft:
Nr. 7
DOI Artikel:
Rohr, Ignaz: Ein Museumsgang in London, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16254#0079

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
70

über der Freude an den Formen hat er
niemals vergessen, die Seele und das
Gemüt zu ihrem Rechte kommen zu lassen.
So war er denn der berufene Maler
religiöser Gegenstände. Er bot viel mtb
konnte deshalb jedem etwas bieten.

Eine glückliche Ergänzung zu Brown
und Hunt bildet Dante Gabriel Ro s -
fetti. Zwar konnte auch er peinlich ge-
nau sein bis ins minutiöseste Detail. Für
gewöhnlich aber drängten sich seiner leb-
haften, echt südlichen Phantasie die Bilder
viel zu rasch auf, und gelegentlich ließen
ihm auch Geldverlegenheiten nicht genügend
Zeit, um in ihrer tüftelnden Manier ar-
beiten zu können. Die breitere und darunl
raschere Malweise der Venetianer lag ihnt
deshalb viel besser. Die Ideen und Bi-
sionen strömten ihm in üppiger Fülle zu.
Und wenn er manchen seiner Gestalten zu
wenig Blut und Leben zu geben schien,
so wußte er doch aus den: Blick und dem
Gesichlsausdruck eine Ceelenglut leuchten
zu lassen, wie keiner außer ihm. Mag
sein, daß das rasche Hinmelken und Ab-
sterben Miß Siddals, an welche seine
weiblichen Gestalten mehr oder weniger
erinnern, die Ursache dieser Eigentümlich-
keit sind. Die Rückwirkung seines un-
geordneten Lebens und seines ungeregelten
Schaffens aus seine Nerven und der Ge-
brauch von Gewaltmitteln zu ihrer Auf-
reizung mögen ein weiteres dazu beige-
trageu haben. Trotzdem führt seine Kurist
nicht in die Abgründe des degenerierenden
Lebens, soiidern in die Gefilde stillen,
sehnenden Schmerzes oder die Sphären,
da Erdenriot und Seelenleid hinüberflutet
in beseligende Erlösung urid Verklärung.
So qualifizierte er sich wie kein anderer
znm Interpreten von Dantes vita nuova.
Der Dichterfürst hat einen kongenialen
Künstler gefunden, und das sehr beachtens-
werte poetische Talent Rossettis mag mit
eines der Geheimnisse der innigen Wahl-
verwaridtschast beider sein. Daß man diese
Eigenart auch im Lande des praktischen
Sinnes Uiid des Riesenverkehrs verstand,
beweist die Tatsache, daß gerade sie am
meisten Schule gemacht und zur Wert-
schätzung der Prärafaeliteu beigetragen hat.
Ja, Miß Siddals Gestalt klingt noch nach
in den Frauentypeil der englischen Kunst
der allerjüngsten Tage, und ihre Haartracht

hat sogar Einfluß gewonnen auf die Mode.
In der Tate-Galerie ist er vertreten mit
„Maria Verkündigung" (originell, aber
würdig in der Auffassung, ausgezeichnet
in der Wiedergabe des Seelenlebens),
„Beata Beatrix" (Dantes Beatrice im Ster-
ben, einem der besten seiner Dantewerke)
und „Sancta Lllias".

War Rossetti eine glückliche Ergänzung
zunl Ernst und der peinlichen Treue Browns
und Hunts, so signalisiert John Everett
Millais das Abflauen und die Abflachung.
Schon in früher Jugend im sicheren Be-
sitz des schablonenhafteu Betriebs und der
glatten Art der Akademie und von ihren
Mitgliedertl als Wuilderkind angestaunt,
ließ er sich durch Hunt und Rossetti für
das Malen in Licht und Luft und die
dadurch bedingte, aber allerdings sehr zeit-
raubetlde Sorgfalt auch in der Wiedergabe
des minutiösesten Details bekehren und
leistete mit seiner „Kindheit Christi" und
„Loreuzo und Jsabella" wesentliche Bei-
träge, um die Aufmerksamkeit auf die neue
Richtung zii lenken. Sie atmeten Leben
und Tiefe und schilderten die Wirklichkeit.
Ja, seine „Mariana" erregte in den bisher
maßgebenden Kreisen derartiges Befremden,
daß man sie — allerdings nicht sie allein —
im Jahre 1851 aus der Ausstellung zu
entfernen drohte. Aber schon 1852 lenkt
er nach Malweise und Inhalt in die
breiten, bequemen Geleise ein, aus denen
ihn die Neuerer herausgerissen. Er wird
Genremaler und ist bei der Akademie
sofort aufs beste akkreditiert. Erst an-
iiäheriid zwanzig Jahre später lebt in
der Mache bei ihm ein Stück prära-
faelitischer Freude anl Licht und am
Detail wieder auf, bedingt durch den
Wechsel des Gegeustaitdes, den Uebergang
zur Landschaft und zum Porträt. Zuletzt
nimmt freilich die Verflachung wieder
überhand, bedingt durch die rasche Arbeits-
weife, zu der sich M. veranlaßt sieht.
Dafür wird ihm noch auf dem Todbette
die Ehre der Präsidentschaft der Akademie
zuteil. — Die Tate-Galerie enthält keines
seiner Werke der Prärafaelitenzeit.

So vermochte denn der Prärasaelis-
mus sich auf die Dauer keine herrschenöe
Stellung zu erringen. Und doch wirkt
er noch bis auf diesen Tag. Er hat
Freilichtmalerei gepflegt und sich der Natur
 
Annotationen