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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 33.1915

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Nr. 1
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Rohr, Ignaz: Aus Englands Kathedralen
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https://doi.org/10.11588/diglit.16255#0022

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19

dem ganzen diente der Plan des Bischofs
Quivil (ch 1291) als Grundlage, und
Fenster, Säulen, Grabmäler, ja selbst die
Kapellen entsprechen je dem ihnen gegen-
überliegenden Parallelglied. — Das späl-
gotische Chapterhonse ist nicht massiv ge-
wölbt, wie die Kathedrale, hat aber da-
für eine herrliche Holzdecke.

Der Eindruck der Außenansicht ist we-
sentlich anders, als der des Innern, lutb
korrigiert denselben in gewissenr Sinne.
Macht sich dort die Längsrichtung etwas
einseitig geltend, so erfolgt hier ein ge-
wisser Ausgleich durch die auffällig weit-
ausladenden Strebepfeiler. Dadurch wird
jedoch der Abstand gegenüber der in
Deutschland gebräuchlichen Höhe nur desto
aufdringlicher fühlbar, und wenn für das
Schiff durch die hohen Wimperge das
Aufwärts auch mehr betont wird, so leidet
der gegenüber dem Dach des Schiffes
nur um einen Stock höhere, geradlinig
abschließende Turin unter dem Drang in
die Breite desto mehr. „Sursum corda"
ist die Losung der deutscheil Dome. „Wir
wollen hier bleiben und uns breit machen"
ist die voll Exeter und vielen andern.

Mitten in die Ueppigkeit des Perpen-
dikulärstils hinein versetzt die Kapelle des
King' s C o l l e g e z u Cambridges —
für eine „Kapelle" allerdiligs groß ge-
diehen (96 m lang, 26 m breit). Der
ganze Bail löst sich aus in Zierwerk, das
aus senkrechten, also perpendikulären
Stäben besteht, das Mauermerk, die
Pfeiler und Fenster überspinnt, von da
auf die Decke übergreist, sich dort fächer-
artig ausbreitet, von einem Pfeiler aus
zwanzig- und dreißigfach verästelt und
den Eindruck eiues soliden, stützenden und
tragenden Architekturgliedes vertauscht
mit denr von flüchtig dahinhuschendeil
Strahlen, daher „fließender Stil", flo-
wing style genannt. Bei Fenstern- for-
dert schon das Bedürfnis nach einem
festen Halt eine Durchkreuzung durch ho-
rizontale Glieder, also eine Zerlegung
in niehrere Stockwerke. Auch diese Hori-
zontalliuien greifen hinüber auf das
Mauerwerk und auf die Decke unb werden
bei Gewölben zu konzentrischen, mit der

') Grundriß und Inneres: Kuhn, Fig. 913
und 914.

Entfernung vonl Ausgangspunkt sich er-
weiternden Kreisen. Zusammen mit den
Ausläufern der Vertikallinien bilden sie
ein Rankenwerk von spitzenartiger Fein-
heit, zumal sie an den Schnittpunkten
durch Kleeblatt- oder Hackenformen ver-
bunden sind, oder, wenn geschweift, die
Gestalt von Fischblasen nnnehmen. Die
Tatsache, daß Fenster-, Mauer- und Ge-
wölbeflächen völlig gleich behandelt wer-
den, kündet deutlich genug, wie weit Ulan
von deil Gesetzen der Architektur abge-
kommen ist. Die riesigen Fenster unb
die (freilich auch früher nicht ganz feh-
lenden) Holzdecken liegeil also vollständig
innerhalb der Konsegllenz der ganzen Ent-
wicklung. Es ist, als wäre die alte De-
korationswut aus dem Anfang der eng-
lischeil Architektur wieder erwacht, als
hätte sie sich noch gesteigert durch das
Gefühl, jahrhuildertelang durch die Be-
tonung des Wuchtigen und Monumen-
talen zurückgedrängt worden zu sein, als
wollte sie die Fehler der kurzen ersten
iliid der langeil zweiten Periode aus-
gleichen, indem sie die Führung über-
nimnlt und den gaiizeil Bau in unzählige
dekorierte Flächen auflöst. Aber eben-
damit ist sie zunl Boteil des Niedergangs
uild des naheil Endes geworden. Denn
ein Baustil, bei beiu die Dekoration den
Vau beherrscht, ist ein Widerspruch in
sich selbst, ist kein Baustil mehr unb hat
seine Existenz verwirkt. Die Totengräber
stellten sich denn auch bald ein, unb zwar
von zwei Seiten. Es faut die Refor-
mation und ließ sicb's, wie ailderswo,
mit den bereits vorhandeneil Gottes-
häusern genügen — bis fast auf diesen
Tag, und wnßte sich mit ihren Ansprüchen
so zu bescheiden, daß der Raum zwischen
Chorabschluß, ev. Ladychapel und Lettner,
früher für den Klerus bestimint, bei beu
einzelnen gottesdienstlichen Feiern für
gewöhnlich jeweils die ganze Geiileinde
zu bergen vermag, auch bis auf diesen
Tag. Es kam bald daraus das Zeit-
alter Elisabeths. Euglaild schnellte eiupor
zur Weltmacht und Königin der Meere.
Die Weltstellung absorbierte so viele Inter-
essen, daß das für die kirchliche Architektur
dahinter zurücktrat. Der einzige bedeu-
tende Repräsentant derselben, den die
nächsten Jahrhunderte schufen, entstand
 
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