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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 33.1915

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Nr. 2
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Ehrhart, Alfons: Beuroner Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.16255#0040

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— 37

tiefste Quelle in der Sehnsucht noch dein
Ewigen, im Suchen Gottes hat, ist
nichtsdestoweniger tiefer, wahrer Realis-
mus. Diese Kunst gibt uns nicht die ge-
meine, zufällige Wirklichkeit, sie stellt,
wie Schopenhauer richtig sagt, die Idee
der Dinge im platonischen Sinne dar,
d. h. sie steigt zu den gestaltenden Ur-
kräften des Lebens hinab, zu den un-
geborenen Möglichkeiten alles Seins,
und schafft von dort aus Gestalten, die
wir nie gesehen, und die doch im tiefsten
Sinne wirklich sind, ja wirklicher als
alles, was wir kennen, weil in ihnen
gleichsam die plastische Urkraft voll aus-
gewachsen ist, die im wirklichen Leben
stets durch zahllose Hemmnisse und Zu-
fälle in ihrer Entfaltung gehemmt wird.
Man mag über die platonische Jdeen-
lehre denken, wie man will, der gläubige
Christ weiß, daß iiber dieser sichtbaren
Erfcheinungswelt eine Welt höherer
Realitäten besteht, in welcher „der Leib
unserer Niedrigkeit gleichgestaltet wird
dem Leibe der Herrlichkeit Christi". Von
Christi Herrlichkeit ist ein lichter Schat-
ten ans die Beuroner Heiligen gefallen.
„Der Blick hinaus über die Welt," sagt
Richard Wagner einmal, „ist der einzige-
der die Welt versteht." Ob dies nicht auch
für die Beuroner Künstler zutrifft! Sicher
wohl für die Welt der Heiligen. „Die
Phantasie," sagt Otto Ludwig, „mutz im
Kunstwerk der Sprecher sein." In
diesen „geometrischen Gebilden", die ein
großer Kunstverstand geschaffen, der sich
versteckt und nicht aufdrängt, nimmt die
Phantasie ihren höchsten Flug. Sie ist
ein gewaltiger Sprecher: sie redet von
Gott und dem Ewigen, von Tugend und
Heiligkeit eine Sprache, die jedem ins
Herz dringt und vom christlichen Volke
wohl verstanden wird.

Unbegreiflich erscheint uns der immer
wiederkehrende Vorwurf, das Volk ver-
stehe die Beuroner Kunst nicht. Der
mächtige Zuzug nach Beuron wäre dann
ein Rätsel. Das fromme Beten und
Singen, und auch das fromme Malen
der Mönche zieht die Volksscharen heute,
nach drei Jahrzehnten, mit gleicher
Kraft nach der berühmten Wallfahrts-
und Kunststätte. Man gebe sich doch
keiner Täuschung hin; dem gewöhn-

lichen Volke ist wie dem Kinde das Tech-
nische Nebensache, der Inhalt die Haupt-
sache. Beim Kinde ist das auf Grund
genauer Beobachtungen festgestellt lft),
beim Volke ist es nicht anders. Die
Technik eines Kunstwerkes kommt neben
dem Inhalt, dem Dargestellten erst zur
Geltung, wenn das Kunsturteil durch
Studium geweckt ist. Das Verständnis
für die Technik setzt immer einen gewis-
sen Hochstand künstlerischer Bildung vor-
aus, der dem gewöhnlichen Volke fehlt.
Umsomehr Verständnis hat das christ-
liche Volk für den Geist des Glaubens
und der Frömmigkeit, der aus einem
Bildwerk zum Beschauer spricht.

Nun sagt Popp freilich: „Die Beu-

roner Künstler haben fast alle Rücksicht
auf die Bedürfnisse der Menschen ver-
loren. Sie lassen nicht bloß deren
ästhetisches und ethisches (?), sondern
auch ihr Trost- und Erbauungsbedürf-
nis außer acht, wie solches selbst in der
kirchlichen Kunst stets als berechtigte
Forderung anerkannt und gepflegt
wurde. Eine reine Anbetungskunst
kann Mönchen genügen, die aller Sorge
um das Irdische durch ihr Kloster ent-
hoben sind; und anderen wird sie eine
Predigt; aber man kann nicht immer
nur predigen hören." Aber gerade die
Predigt hat die schöne Aufgabe, zu trö-
sten, und ihre größte Trostkraft liegt
darin, daß sie die Mühseligen, mit Kum-
mer und Leid Beladenen auf Gott, „den
Vater alles Trostes", hinweist und ihren
Blick hinüberrichtet in die bessere Welt,
wo kein Tod, keine Trauer, kein
Schmerz, keine Klage mehr ist. In diese
höchste Trostwelt hinauf ist die Beuroner
Kunst eine freundliche Führerin. Solche
Predigt kann und will das einfache Volk
immer hören. Die Beuroner Kirche und
besonders die neue Gnadenkapelle ist
„mit ihrem ungestörten Klosterfrieden
wie eine Vision und eine Ahnung der
triumphierenden Kirche" (Lippert).

Pöllmanns Unterscheidung zwischen
latreutischer und Erbauungskunst scheint
uns keine glückliche zu sein, mehr eine

10) Potpeschuigg, Aus der Kindheit bilden-
der Kunst. Teubner. Müller, Aesthetifche
und außerästhetische Urteile des Kindes. . . .
 
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