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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 34.1916

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Nr. 1
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Rohr, Ignaz: Zu W. Steinhausens siebenzigstem Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.16256#0027

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24

in Berlin, teilweise auch in Dresden
zu, reiste im Herbst 1871 mit einein Sti-
pendium nach Italien, wo ihn Giottos
Werke längere Zeit in Assisi festhielten,
blieb von 1873 an zwei Jahre in Mün-
chen, wo ihn Leibi und Böcklin beson-
ders anzogen, war 1875/76 wieder in
Berlin, ließ sich 1876 dauernd in Frank-
furt a. M. nieder und gründete daselbst
1880 seinen eigenen Hausstand. Nun-
mehr ist er am Ende seines siebenten
Jahrzehntes angelangt. Aber streng
genommen war erst das allerletzte der-
selben beschienen vom Sonnenglanz des
Erfolges. Nicht als ob er sich mit den:
sechzigsten Jahr erst die Kunstübung
angeeignet hätte, die die öffentliche An-
erkennung auf sich zog. Er ist sich fast
sein ganzes Leben hindurch gleich ge-
blieben, und so viele Schulen er besucht
und so viele Einflüsse er auf sich hat
wirken lassen, seine Eigenart blieb im
Grunde dieselbe. Die Hetze der Kunst-
richtungen hat sie nicht mitgemacht.
Darum blieb sie mich von der Kritik so
ziemlich verschont, aber auch so gut wie
sich selber überlassen. So konnte sie in
sich selbst erstarken, sich ruhig und ein-
heitlich ausreifen und sich ihre Selb-
ständigkeit auch gegenüber starken
neueren Strömungen aus dem einfachen
Grrlnde wahren, weil sie in ihrer Weise
wichtiger Probleme bereils Herr gewor-
den war, ehe jene sie empfunden und
zur Diskussion stellten, vor allem des
Lichtproblems. Es ist ein gewaltiger
Unterschied zwischen ihm und Rem-
brandt, nnb doch verbindet beide das
besondere Geschick, von einer Lichtquelle
aus Licht und Schatten über die ganze
Komposition zu verteilen.

In seiner Stellung zur Farbe hat er
mit der Zeit Fortschritte gemacht. Zu-
nächst ist er Zeichner und weiß mit der
Zeichnung Effekte zu erzielen, die ihn
den Besten auf diesem Gebiete zuwei-
sen. Dann aber geht er zur Farbe über
und von den anfänglichen dunkeln, fah-
len, braunen Tönen zu helleren, lichte-
ren. Schließlich weiß er Lichtwirkungen
in der Natur mit einer Treffsicherheit
und Treue wiederzugeben, daß man ihn
zu den Impressionisten zählen könnte.
Doch sind ihm seine Naturstudien nicht

Selbstzweck, sondern Ausdrucksmittel für
etwas Höheres, Geistiges, für Stim-
mungen, Gedanken und Ideen. Seine
Kunst hat eine Seele und ihr Puls-
schlag ist die Religion. Sein Erstlings-
loerk, „sechs Bibellesezeichen", für seine
Mutter gezeichnet und später publiziert,
sind Illustrationen zu Schriftstellen.
Daran reihte sich ein Weihnachtszyklus
(„Geschichte von der Geburt unseres
Herrn"). Das Kriegsjahr 1870/71 sah
Kartons zu Szenen aus dem
Leben des Tobias für Glasge-
nrälde entstehen. Grotesk mutet
„Der Aufbiruch vonr Abendmahl" an.
Er steht unter dem Eindruck der italie-
nischen Reise und dev Werke Giottos
zu Assisi. Die Zeit bis 1875 ist ausge-
süllt durch die Arbeit am „Gang nach
Emmaus", „Christus predigt auf dem
See", „Speisung der Viertausend", der
„Heilung des Bartimäus", dem Bilde
„Christus, Tod und Engel" und den
Illustrationen zu Klemens Brentanos
„Ausgewählten Gedichten" (Cotta 1874
— die zur „Chronica eines fahrenden
Schülers" harrte eines Verlegers bis
1898, H. Keller, Frankfurt). Es waren
die Münchener Jahre. Nach kurzem,
unbefriedigendem Aufenthalt in Berlin
erfolgte die Uebersiedlung nach Frank-
furt, veranlaßt durch einen Auftrag für
monumentale Malerei.

Dieser erste Abschnitt in Steinhau-
fens Künstlerleben zeigt uns den Mei-
ster in inniger Fühlung mit der Natur,
der deutschen Vergangenheit und der
Hl. Schrift und in glücklichem Ausgleich
zwischen den drei Quellgebieten seiner
Kunst. Es ist die Natur, und zwar die
deutsche Natur mit ihren Bergen, Tä-
lern, Flüssen und Seen —• aber nicht die
wildromantische, sondern die ruhige, an-
mutige —, in die er seine Gestalten hin-
einsetzt, als wären sie daraus hervor-
gewachsen. Die Frische des Morgens,
die Glut des Mittags, die Kühle des
Abends, den Frieden der Nacht, die
Eigenart der Jahreszeiten weiß er aus-
zunützen, um die entsprechende Stim-
mung für die Gestalten und Ereignisse
zu schaffen, die er malt. Und er malt
die Natur mit hellen, strahlenden Far-
ben unb namentlich den Himmel mit
 
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