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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 36.1918

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Nr. 4
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Rohr, Ignaz: Schwabenstreiche am Straßburger Münster
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https://doi.org/10.11588/diglit.21063#0104
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102

im Jahre 1284 an die Spitze des Wer-
kes trat, um bald nachher den Ver-
trauensposten des Baumeisters mit dem
des Pflegers, also die -ganze Riesenarbelt
nach ihrer künstlerischen, technischen und
rechnerischen Seite -aus seine Schultern
zu nehmen. Wie sein Vorgänger, der
Erbauer des Langhauses, verstand er,
die in Frankreich empfangenen Anre-
gungen zu persönlichem Geisteseigentum
und trotz der Reminiszenzen an Paris
und Rou'en zu individuellen Gebilden
zu verarbeiten. Gegen seine Abstam-
mung von Steinbach, also aus dem da-
mals rechtsrheinischen Tiözesananteil
Straßburgs, läßt sich kaum etwas Stich-
haltiges Vorbringen. Aber den äußeren
Anstoß zu dem Werke, an dem man vor
ihm schon 282 Jahre gearbeitet hatte,
gab ein Schwabe n st r e i ch. In einer
Fehde zwischen Herzog Hermann
von Schwaben und der Stadt als
Anhängerin Heinrichs II. ging das
Münster durch die Schuld der schwäbi-
schen Söldner, aber gegen den Willen
des Herzogs in Flammen aus. Letzterem
wurde Ersatz auserlegt und er wies im
Jahre 1002 dem Neubau die Einkünfte
von St. Stephan zu. Bischof Werner,
der Habsburger, nahm das Werk ener-
gisch in die Hand, Leo IX. (vormals
Bruno v. Toni) bewilligte einen Ablaß-
brief. Aber es braucht fast zwei und
ein halbes Jahrhundert, bis das Lang-
haus in Angriff genommen werden kann,
um dann allerdings trotz seiner gewal-
tigen Dimensionen (ca. 110 Meterlang,
41 Meter breit, im Mittelschiff 30 Me-
ter hoch) schon 1276 vollendet zu wer-
den. Gleich im nächsten Jahre beginnt
man mit der'Westfront, und im Jahre
1430 ist sie fertig bis zur Turmspitze
(142 Meter).

Erwin wollte über der vielbewunder-
ten Fensterrose (13,6 Meter Durchmesser,
50 Mieter Umfang — ihr Ruf war so
groß, daß der RottNwiler Rat den Klaus
Outscheu eigens nach Straßburg ent-
sendet, um das „Rad" sich anzusehen
und die Anregungen desselben beim
Bau des Kapellenturmes zu Veriverten)
sofort mit den beiden Türmen beginnen,
und seine Söhne bauten nach feinem
Tode in diesem Sinn weiter. Später
aber verband man bekaunttich die An-

fänge der Türme, so daß die Fassade
über der Rose noch ein weiteres, in sei-
ner Nüchternheit allerdings sofort als
spätere Zutat kenntliches Stockwerk be-
kam. Nach dessen Abschluß aber stand
man ratlos vor dem riesigen Steinklotz
und sah ein, daß die Erwinschen Türme
zu klein feien, aber auch jedes zum Unter-
bau einigermaßen passende Turmpaar
so ungeheuerlich groß werden müßte, daß
eine Harmonie mit dem Schiff endgül-
tig ausgeschlossen und auch das Stadt-
bild gestört wäre. Nun rief man ben
U 1 m e r M ü n st e r b a u in e i st e r U t-
r i ch von Ensingen zu Hilfe, unb
er verstand es, der anfänglich für zwei
Türme berechneten Fassade in einem
einzigen Turm einen einigermaßen er-
träglichen Abschluß zu geben. Das llfmer
Münstermodell klingt deutlich nach, aber
ist doch nicht einfach kopiert. Das Der-
hältnis von Ulm zu Straßburg ist also
hier ähnlich wie das voir Paris-Rouen
zu Straßburg bezüglich der Fassade: per-
sönliches Verarbeiten des Vorbildes.
Man fühlt ja freilich auch heilte noch,
daß etwas Fremdes int Ganzen liegt.
Namentlich wer den Bail itt -einiger Ent-
fernung von Nordosten, etwa von Kehl
her betrachtet, iiluß sich an der breiten
Steinmasse stoßen, die sich z wischeil
Schiffabschluß unb Turmbeginn hinein-
schiebt. Aber schroffe Disharmonie br-
deutet es doch noch ilicht. Es ist ungefähr
derselbe Eindruck, wie menn man den
Grundton, die Terz tmb Oktav, aber nicht
die Quint gleichzeitig hört. Es klingt
harmonisch, aber ilicht ganz voll. Eine
kühne Tat bleibt Ensingers Werk. Durch
eilten Geniestreich war eitle verfahrene
Situation gerettet. Nun brauchte Mei-
ster Hiiltz aus Köln mtf noch ein kleines
Zwischengeschoß aufzusetzen, und der Ab-
schluß durch den originellen Heltil konnte
erfolgen. Mail möcble ihm etwas mehr
Höhe wünschen — in Ulm hat mail be-
kailutlich gegenüber bcnt ursprünglichen
Plan die Spitze verlängert, das Achteck
verkürzt und damit eilten trefflichen Er-
folg erzielt.

Die das Achteck flankierenden und in
gewissem Sinne maskierenden vier
Schneckentürmchen sollten das bequeme
Ersteigen des Helmes ermöglichen. Völ-
lig frei auilrigeud tmb nur oben durch
 
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