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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 37-39.1919/​21

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Nr. 1 (1919)
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Rohr, Ignaz: Gedanken über die Erneuerung von Kirchen der nachgotischen Baustile
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https://doi.org/10.11588/diglit.22108#0010

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2

tojtr seine disiser Prachstkirchen auf an
einem ihrer großen Tage, wie ietwa die
von Weingarten am Blutsreitag, ge-
füllt von einer tausendköpfigen Menge,
durchflutet von Weihrauchwolken und er-
dröhnend unter den Klangen einer Rie-
senorgel, da verstehen wir erst recht,
warum das Volk mit ganzer Seele an
diesen Kirchen hängt: weil sie Trost,
Aufmunterung, Freude, Jnbel atmen
und in die Herzen hinüberleiten. Aber
auch die einfachen Landkirchen dieser
Zeit verdienen volle Beachtung. Vor
allem haben sie den Vorzug, nicht mehr
sein zu wollen, als sie sind, nicht Dome
en miniature, obgleich in sehr vielen
Fällen Bauherr und Architekt bei ihnen
dieselben waren, wie bei den großen
Münstern. Schlicht und doch imponie-
rend stehen sie in ihrer ländlichen llm-
gebnug, und trotz der kleineren Ver-
hältnisse teilen sie mit den Münstern
den Eindruck der Weiträumigkeit,
Uebersichtlichküt, des Lichten, Frohen,
auch die Einheitlichkeit ltnb Gediegen-
heit der Ausstattung — und gewöhn-
lich auch eine vortreffliche Akustik. Es
weht e i n Geist, e i u Formensinn,
eine Gemütsart in ihnen allen. Es
gilt also zunächst, sich in ihre Eigenart
zu versenken, einzufühlen, und dann,
ihnen dieselbe unter allen Umständen
zu wahren und zrr erhalten. Damit
sind die Richtlinien für ihre Restaura-
tion bereits gewonnen.

„Es werde Licht!" so schien es, lan-
tete die Losnng für die nachgotische Ar-
chitektur. „Es bleibe Licht!" muß einer
der Grundsätze sein für deren Behand-
lung. Darum vor allem für die ge-
nannte Klasse von Kirchen keine ge-
malten Fenster, auch keine mit schlich-
tem geometrischen Muster oder Gri-
saillemalerei, denn sie entziehen der
Kirche einen Teil des so notwendigen
Lichts — und noch viel weniger Fenster
mit Figuren in den roten und blauen
Gewändern einer falsch verstandenen
Gotik, denn sie bedeuten einen schrillen
Mißton gegenüber den meist dunkel ge-
haltenen Altarbildern und den ähnlich
abgestimmten Deckenmalereien, sondern
höchstens kleine Medaillons >grau in
grau oder gelb in gelb, oder mit weni-
gen, dezenten Farben. Nur wo einer

Statue durch gehobenes Licht 'eine Art
Glorie gegeben werden soll, ist gefärb-
tes Glas am Platz"). —■ Alte Fenster,
etiua ln Bleifassung, am Rande direkt
in den Mörtel eingelassen, sollen nicht
entfernt werden Z. Ist Ersatz nötig,
so soll es nicht mit dem aus Korridore
und in sogenannte altdeutsche Räume
passenden Kathedralglas .geschehen-, som
dern mit Antikglas, das dem freien
Blicken voll innen wie von außen einen
zarten Schleier vorlegt, den: Licht aber
freie S3al)n läßt.

Außer von dem durch die Fenster
hereinslutenden Lichte ist der Gesamt-
eindruck des Weiten, Frohen bedingt
durch das vou den Wänden zurückstrah-
lende. Sie sind also weiß zu belassen,
was sie fast überall waren, eventuell
durch Bürsten oder mit Brot zu reinigen
und höchstens mit dünner Kalkmilch zu
rünchen, nicht zu decken. Schadhafte
Stellen sind im ursprünglichen Material
zu ergänzen. Teppich- oder Sockelmale-
rei erzeugt den Eindruck von Raumein-
buße, ist also höchstens an Pfeiler- oder
Liseueusockeln statthaft. Später aufge-
trageue Oelfarbe ist abzubeizen, Leiin-
farbe abzutochchen.

Stuck ist abzupinseln oder mit Spach-
teln oder Hölzchen abzukratzen, kleine
Defekte brauchen keine Ergänzung, der
Farbsunterschied zwischen gegossenem nnb
frei geformtem Stuck keinen Ausgleich.
Farbtöne sind lasierend, nicht deckend
aufzutragen (mit Kalk und Kasein).
Beim Ausfällen größerer Sprünge soll
Werg beigemischt, zum Aufschrauben
Messing oder verzinntes Eisen verwen-
det werden. Bei Ergänznugrn ist Sand
mehr zn sparen als Gips. Ein Zusatz
von Eibischabsud verlangsamt das Trock-
nen und ermöglicht ein ruhiges Ar-
beiten.

Wo keine Vergoldungen waren, sollen
keine angebracht werden, am allerwenig-
sten auf glatten Leisten. Ergänzungen
haben in der ursprünglichen Technik
(auf Bolus-, Wachs-, Leim-, Oelgrund)

h Z. B. das Fenster hinter -der Marien-
stcrtiuie der „nnte-nt Kirche" (SpitaMrche) in
Ehingen icr. D.

3) Z. B. in der Kirche zu Wil-

singen bei Münstnyen.
 
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