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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 37-39.1919/​21

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Nr. 3 (1919)
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Rohr, Ignaz: Zur Baugeschichte der Klosterkirche in Zwiefalten
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https://doi.org/10.11588/diglit.22108#0077

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schmerzen lernt, nicht mit Einem Blick
die ganze Herrlichkeit überschauen jgu
können. Und für ben Chordien ft war
ein in sich geschlossener und doch nicht
beengender und auch von d-er Gemeinde
noch zu überblickender Raum geschaffen,
wie man ihn sich für die innere Samm-
lung nicht passender wünschen mochte.
Und dann kamen noch die Stukka-
teure und Maler und gaben dem archi-
tektonischen Gerüste ein Farbengewand,
das bei allem reichen Wechsel doch mit
dem Sonnenlicht von außen und der
Naturfarbe des Schreinwerks zu einem
ruhigen Akkord zusammenklingt. Man
hat es beanstandet und es ist tatsächlich
ein Tadel, daß das frische Rot der die
Pfeiler flankierenden Säulen nicht hin-
übergreist zum Gewölbe, sondern durch
das Band des unbemalten Gebälks und
der schlicht-weißen Attika davon abge-
schnitten ist, also das statische Gleich-
gewicht zwischen „tragenden und getra-
genen Gliedern" verschiebt; aber trotz-
dem bleibt der Gesamteindruck der einer
vornehmen, gediegenen Pracht. Eine
Autorität wie Dehio kleidet seine Be-
wunderung für den Bau in die Worte:
„Eine der ganz großen, pompösen Kir-
chen des 18. Jahrhunderts, die den Ruf
ihres Erbauers ... als des süddeutschen
Hauptmeisters im barocken Kirchenbau
vollauf rechtfertigt. . . . Die Anlage gibt
ohne Künstelei eine wahrhaft grandiose
Raumfolge voll malerischen Lebens.
Langhaus und Chor sind in ihren Sy-
stemen aus Kontrast angelegt: am Lang-
haus Seitenkapellen und balkonartig
ausgebauchte Emporen, jedes mit reich-
lichen Lichtöfsnungen, im Chor ruhige
Wandmassen, die Nebenräume nicht
sichtbar. Die Besetzung der Zwischen-
pfeiler mit gekuppelten Säulen gibt
einen prachtvollen Rhythmus, ltnb die
Dekoration läßt in Ton und Farbe das
vollste Rokokoorchester spielen. Wieviel
man gegen die Einzelheiten einwenden
mag, z. B. die erheblich manierierte Pla-
stik der Altäre und der Kanzel . . . —
alles wirkt an seinem Platze richtig, und
die Gesamtharmonie von Raum, Kon-
struktion, Dekoration ist 'die vollEom-
menste. Im Wiesen dieser Dekoration
liegt es eben, daß die Einzelheiten —
in diesem Fall zu if)rem Glück — kaum

bemerkt werden. Die Chorstühle z. B.
würden es verdienen, Nußbaum und
etwas Gold, die Rückwand nicht mehr
wie im Barock, durch Säulen und Gebälk
(vgl. z. B. Obermarchtal), sondern in
fließenden Linien gegliedert und mit
großen, gemäldeartig komponierten,
sehr sorgfältig ausgeführten Reliefs ge-
füllt" usw.

Die Harmonie her Bauglieder und
der Leistungen von Kunst und Hand-
werk fand auch ein Echo in dem Ver-
hältnis von Bauherrn und Bausührung
und seitens der letzteren einen Ausdruck,
wie ihn die Geschichte wohl selten bu-
chen dürste. Zur Kapelle von Goßen-
zugen bei Zwiefalten bemerkt Thieme:
„dto. von Fischer, 6. 9. 1749 gestiftet
von den am Bau der Kirche in Zwiefal-
ten beteiligten Künstlern." Dieser
Künstlerdank will umso höher gewertet
werden, als das Kloster zur Zeit der
Hochspannung der Bauforderungen an
die Kasse sich im Jahre 1750 von allen
Rechten des Hauses Württemberg für
immer loskauste um die gewaltige
Summe von 290 000 Gulden und den
Verzicht aus eine Menge von Gerecht-
samen^). Die Ausschmückung des Mün-
sters kommt erst im Jahre 1780 zum
Abschluß. Zur selben Zeit erstehen auf
Klosterkosten Kirchen und Pfarrhäuser
in Zell und Dürrenwaldstetten; die
Studien erfahren im Kloster und dem
dazugehörigen Kollegium zu Ehingen
energische Förderung, die Armen finden
weitgehende Unterstützung, namentlich
in dem Notjahr 1771; in Tigerfeld
wird ein Armenhaus für das Kloster-
gebiet gegründet, als Spar- und Leih-
anstalt wird eine Waisen- und Dienst-
botenkasse eröffnet — und doch hinter-
läßt Abt Nikolaus Schmidler bei seinem
schnellen Tode u. 1787 „die Einkünfte
vermehrt und volle Kassen" — und sein
Nachfolger Gregor Weinemer von Lein-
stetten (1787—1802), der letzte Abt von
Zwiefalten, regiert im selben Sinne
weiter und nimmt in den Bereich seiner
Fürsorge sogar das Studium der orien-
talischen Sprachen aus.

Nimmt man hinzu, daß zwei schlichte
Maurer aus einem kleinen Filialort sich

") Holzherr a. a. O., S. 152.
 
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