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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 37-39.1919/​21

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Nr. 3 (1919)
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Rohr, Ignaz: Erneuerung und Erweiterung der Heiligkreuzkirche in Rottweil
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https://doi.org/10.11588/diglit.22108#0084
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in Gewänder mit knittrigen, schier
rechtwinkligen Falten gehüllt, und wa-
rum die Gesichter nicht von der mir der- -
trauten jugendlichen Glätte waren, das
wußte ich mir nicht zu deuten. Und
noch befremdlicher wollte es mir er-
scheinen, daß man vom Westportal aus
in die Kirche hinabsteigen mußte, und
die Bänke unmittelbar links neben dem
Portal gesperrt waren wegen Einsturz-
gefahr der Wölbung. Da noch nicht
vierzig Jahre verflossen waren seit der
Restauration durch Heideloff in Nürn-
berg, mußte dies umso auffälliger
erscheinen, und neuerdings macht man
die Arbeit Heideloffs noch für andere
Auffälligkeiten verantwortlich. Aber die
jetzige Restauration hat dieselben ge-
hoben.

Ein leuchtendes, auch von unserem
„Archiv" anerkanntes Vorbild hiefür
hatte das benachbarte Villingen ge-
geben. Dort war oberster Grundsatz:

Wahrung des Guten. Dann erst kamen
die Forderungen der Stileinheit in
Frage.

Rottweil war in der angenehmen
Lage, innerhalb seiner eigenen Mauern
in Herrn Stadtbaumeister Wäschle einen
Sachverständigen zu besitzen, der sich der
Frage mit voller Hingabe und treff-
lichem Verständnis widmete. Er unter-
zog zunächst den ganzen Bau einer

gründlichen Besichtigung, arbeitete auf
Grund seiner Wahrnehmungen ein ein-
läßliches Gutachten aus und bot in dem-
selben sehr präzise Vorschläge und eine
genaue Kostenberechnung. Außerdem
wandte man sich an den Diözesankunst-
verein und zog noch Herrn Landeskon-
servator Grad mann bei. Se. Exzellenz
Bischof Dr. v. Keppler gab auf Grund
wiederholter persönlicher Einsichtnahme
in den Stand der Dinge gleichfalls sein
Gutachten ab, und so vermochte dann
die Kommission, in deren Hände man
letztlich die wichtige Aufgabe legte —
der leider inzwischen verstorbene Vor-
stand des Diözesankunstvereins, Herr-
Pfarrer Schöninger, Herr Direktor
Kolb, H. Chefredakteur Monsignore
Kümmel und Herr Konservator Graw
mann (Stuttgart) — ihre Ratschläge
und Pläne auf sehr solidem Material
aufzubauen. Für Herrn Stadtbanmei-

ster Wäschle mag es eine Genugtuung
gewesen sein, seine Wahrnehmungen
und Vorschläge in der Hauptsache be-
stätigt und gebilligt zu sehen. Das von
Schöninger ausgearbeitete Kommis-
sionsgutachten hatte das seine fast rest-
los ausgenommen. Nur schickte es einen
sehr beachtenswerten Exkurs über die
aktenmäßige und die vermutliche Bau-
geschichte des Gotteshauses voraus und
erläuterte seine Eigentümlichkeiten an
verwandten Erscheinungen aus der
schwäbischen Kunstgeschichte (Stuttgart,
Waiblingen^ Marbach, Urach). Es gibt
der Vermutung Ausdruck, daß der der-
zeitige Bau zurückgeht auf eine romani-
sche Pfeilerbasilika mit der jetzigen Mit-
telschiffbreite und -Länge und zwei
Westtürmen, von denen der eine später-
abgetragen wurde bei der Gotisierung,
vermutet, daß die ganze Partie westlich
vom Turm ursprünglich nur Paradies,
Vorhalle war, und sieht eine Bestätigung
dafür in der Tatsache, daß die Nepo-
mukkapelle zwischen Südturm und West-
giebel erst 1634 angebaut wurde und
die Westfassade mit ihrer dürftigen Aus-
stattung einen sehr prekären Eindruck
machte. Auch innen schloß das Gewölbe
westlich mit -einem halben Feld ab. So-
dann war bei der Erneuerung durch
Heideloff 1841—43 (Kosten 84 000 fl.)
die Südkapelle östlich vom hohen Chor
durch Einziehung eines Zwischenbodens
in zwei Paramentenkammern verwan-
delt, damit aber auch das südliche Sei-
tenschiff seines natürlichen Abschlusses
beraubt, auch der Lettner zwischen Chor
und Mittelschiff abgetragen worden.
Daraus ergaben sich für die Restauration
klar und deutlich die Aufgaben, an der
Westfassade gründlich Wandel zu schaf-
fen, die Südostkapelle wiederherzustel-
len, für die entfallenden Paramenten-
kammern Ersatz zu schaffen und die
anderweitigen, kleineren Defekte zu
heben. Es war auch der Gedanke auf-
getaucht, den das Südfchiff unterbrechen-
den Turm abzutragen. Damit wäre
allerdings viel Raum gewonnen und
eine Fülle von Licht gesichert gewesen.
Aber die Kosten der Abtragung, das Ri-
siko eines Einsturzes, wie er bei ähn-
lichen Versuchen an andern Kirchen ge-
legentlich erfolgte, die künstlerische Be-
 
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