Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Your session has expired. A new one has started.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 37-39.1919/​21

DOI issue:
Nr. 3 (1920/21)
DOI article:
König: Die neue Kunst, [1]: ein Beitrag zum Verständnis moderner Kunstbestrebungen
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22108#0127

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
35

die ganze Figur gehenden Lini-enfluß
sich zu fugen hat und mit Bedacht ist
jedes Uebergewicht desselben beim Ge-
samteindruck vermieden. —- „In der
Kraft der Linien, der Bestimmtheit der
Konturen, dem Ineinander und Gegen-
einander von Vertikalen, Horizontalen
und Diagonalen liegt das Geheimnis
der mächtigen Wirkung der Kunst eines
Martin Schongauer" (cf. Walter Ro-
thes, Zeitschrift „Die Kunst". 1919,
Heft 1). Dieselbe Kombination beseel- j
ter Linien ist es, die auch bei den mo-
dernen expressionistischen Malern vor- I
nehmlich die Wirkung erzeugt. Dabei
soll nicht geleugnet werden, daß die Ex-
pressionisten in ihrer „Entkörperlichung"
viel weiter gehen als die mittelalterli-
chen Meister, jedoch dieselbe Wirkung an-
streben. Schongauer ist indes nicht der i
einzige Vertreter der Liniensymbolik. j
Dürer sah in seiner Apokalypse das
visionäre Thema dadurch gelöst, daß er i
irrt Sinn eines reinen „Jdeenexpressio- I
nismus" seine Gestalten entkörperte !
durch die Kraft der Linie.

Gehen wir in der Kunstgeschichte
einen Schritt weiter dann finden wir in
der italienischen Früh-Renaissance in
Fra Angelico einen Vertreter der Li-
niensymbolik, der bei allem Reichtum der
Empfindung seine Kompositionen doch
mit kalter Berechnung aufbarrt, so daß
man bei denselben aus „mathematische
Gefüge" stößt, in denen Walter Rothes
einen Keim erblicken wtll zum heutigen
Linien-Expressionismus. Die plani-
metrische Zerlegung eines Bildes wäre
also nichts Unerhörtes, vollends nicht,
wenn wir die Sienesen des Trecento •
zum Vergleich beiziehen, die als die
„Linienfanatiker" ihrer Zeit gelten, sei
es der gefühlsstarke Dramatiker Barna
oder im späteren Trecento die lyrische
Art Lorenzettis, dessen Linie sentimental
wirkt. Noch ausfallender sind die An-
klänge an den Florentiner Sandro
Boticelli. In seinen Bildern sah man
von jeher ein „ausgesprochen musikali-
sches Element," eine Rhythmik. Dasselbe
wollen die Expressionisten, wobei sie
sich auch hier vor Uebertreibungen nicht
hüten: „Ein ruheloses Spiel sich schwin-
gender Linien, ein Füreinander und
Gegeneinander von Vertikalen, Hori-

zontalen und Diagonalen, bald ein
Ueberschreiten jeglichen Naturmaßes,
bald ein Unterdrücken jeglicher Körper-
lichkeit" — wir haben es hier mit einer
- dem Zeitgeist entsprechenden Künsten
scheinung zu tun, wobei wir jedoch von
Anfang an alles Perverse, alles lächer-
lich Uebertriebene und Willkürliche, das
unter der Firma „Expressionismus"
sich zu decken sucht, ausscheiden und eine
Grenze ziehen zwischen Kunst und blo-
ßem Spiel blinder Kräfte. War im
Vorausgegangenen der Versuch ge-
macht, das^ dunkle Geheimnis des
Expressionismus im allgemeinen zu
beleuchten, so soll im folgenden, was
uns eigentlich am meisten interessieren
muß, die Frage untersucht werden, ob
religiöse Kunst, religiöse Malerei mit
modernem Expressionismus überhaupt
etwas zu schaffen hat. Eine verfäng-
liche Frage, deren Lösung, mag sie Ja
heißen oder Nein, unheilvoll werden
kann für jeden, der es wagt. Lösen wir
die Frage mit „Ja", dann fordern wir
die Masse des Volkes heraus, wenn mit
„Nein", dann stoßen wir aktive und in-
aktive Vertreter der Kunst vor den
Kopf. — Hören wir darüber zunächst
den Expressionismus selbst. Wir lassen
dabei zum Worte kommen Max Fischer,
den Verfasser der Schrift: „Joseph

Eberz und der neue Weg zrrr religiösen
Malerei" (München 1918). Er schreibt:
„Religion ist die Urkraft der Mensch-
heit. Sie gibt arrch die gesteigertsten
Antriebe menschlicher Kunst. Aus reli-
giöser Kraft sind alle hohen Werke
künstlerischen Gestaltens geboren wor-
den."

„Jahrhundertelang hatte sich Europa
von den Quellen der überirdischen Kraft
ab gewandt . . . Religiöse Urkräfte gingen
verloren . . . und mit dem Glauben ver-
siegte die Kraft. Man konnte keine
großen Dome mehr bauen, man ver-
mochte keine Heiligenbilder mehr zu
malen, man hatte keine Schau mehr in
die Geheimnisse der überirdischen Welt.
Die Materie sah sich der Seele des Men-
schen bemächtigt, hat sie zum Fron ge-
zwungen unter ihr eigenes Gesetz . . .
Erbarmungslos kommandiert der Dä-
mon kapitalistischer Entwicklrrng Tun
ttnb Leiden der Menschen."
 
Annotationen