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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 37-39.1919/​21

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Nr. 4 (1920/21)
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König: Die neue Kunst, [2]: ein Beitrag zum Verständnis moderner Kunstbestrebungen$nElektronische Ressource
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https://doi.org/10.11588/diglit.22108#0141

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49

feit ist nach dem Bisherigen leicht zu
finden. Was in der expressionistischen
Malerei die ans Brutale streifende
Energie der Linie bedeutet, das ist in
der Baukunst der Zug zum Struktiven,
„ein Ringen mit dem Problem des Ske-
lettbaus", ein Streben nach machtvollem
Ausdruck. Dieses Streben wird befrie-
digt durch das Wort „gotisch". Die Gotik
war es im Mittelalter, die das Geistige
zum Inhalt des künstlerischen Ausdrucks
machte. Die Gotik gibt die Möglichkeit, !
auch >aus dem Gebiet der Architektur „das
künstlerische Rüstzeug" aus dem Abstrak-
ten zst holen. Da indes die Architektur
sich vom Naturgesetz nie so loslösen kann
wie Plastik und Malerei, darum wird
sie die expressionistische Tendenz eben
nur bis zu einer gewissen Grenze mit-
machen können. Andererseits vermögen
wir in der Architektur die Tragweite des
Einflusses dieser Tendenz viel leichter
und richtiger einzuschätzen als in den
anderen Künsten.

Fassen wir nun unser Urteil zusam-
men über die expressionistische Kunstrich-
tung, so sei zunächst betont, daß wir auch
hier nicht das Kind mit dem Bad aus-
schütten dürfen. Wenn wir der neuen
Richtung schon um ihres redlichen Stre-
bens willen die Achtung nicht versagen
können, so soll dies nicht etwa eine An-
erkennung jedes einzelnen Werkes dieser
Richtung in sich schließen, sondern wir
wollen damit sagen, daß hier fruchtbare
Möglichkeiten reisen. Diese Möglichkei-
ten zur Reife zu bringen, ist freilich nicht
Sache junger Rangen, die in jugend-
lichem Eigenwillen einem Willkürrausch
sich hingeben, sondern das ist Sache gro-
ßer Künstler. Jede Zeit ist im Grunde
genommen auch eine Epoche der Kunst;
es gehören nur auch dazu große Bega-
bungen, denn große Männer schaffen
große Zeiten. Bleiben in einer Periode
die Begabten aus, „dann sprechen wir
von Verfall" (vgl. Landsberger-^Im-
pressionismus und Expressionismus,
Seite 37, Leipzig 1919). Wir
sagen, im Expressionismus liegen frucht-
bare Möglichkeiten. Damit ist auch
schpn hingewiesen aus die damit verbun-
denen Gefahren. Selbst das Mittelalter,
das bei allem religiösen Gefühl sich doch
auch in „dürre Allegorien" verlor, kam

nicht immer um die Klippe herum. Die
größte Gefahr des Expressionismus
liegt wohl darin, daß er die Natur ganz
ignoriert. Die Expressionisten wollen nicht
den Umweg machen über die Natur, son-
dern den geraden Weg gehen, und dabei
genügt ihnen ihr Innenleben. Sie be-
rufen sich auch auf die Musik, die „ja auch
der Natur entbehrt und doch ein so
reiner Ausdruck der Seele ist" (s. eben-
da S. 39). Dieser Vergleich hinkt, da die
Malerei wieder andere Bedingungen hat
als die Musik. Farbe und Ton sind in
vielfacher Hinsicht verschieden. Die Farbe

Eberz, Verrat 1917.

können wir nicht „absolut" erleben, son-
dern nur an Gegenständen, den Ton da-
gegen losgelöst vom Sänger. Daß die
Farbe die Fähigkeit hat, auf die Seele
zu wirken, wird nicht bestritten; ebenso-
wenig kann man aber auch leugnen, daß
„die Analyse der einzelnen Farbtöne ge-
waltig differiert" (vgl. Raphael: Von
Monet zu Picasso; S. 105). Dem einen
ist „weiß" Ursache zum Schauern und
Frieren, dem andern zur Freude. Noch
nach einer andern Seite kann die Farbe
dem Expressionismus einen Streich spie-
len. Mit der Farbe ist immer ein sinn-
licher Reiz verbunden, während der Ton
ein weit geistigeres Gebilde ist. Die
 
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