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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 37-39.1919/​21

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Nr. 4 (1920/21)
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König: Die neue Kunst, [2]: ein Beitrag zum Verständnis moderner Kunstbestrebungen$nElektronische Ressource
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https://doi.org/10.11588/diglit.22108#0142

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50

dekorative Wirkung schlägt nicht selten
den seelischen Gehalt tot, so daß es vor-
kommt, daß der Laie so eine expressionisti-
sche Farbensymphonie für einen Teppich
hält. Bei dem absoluten Gebrauch der
Form und der Linie geht der Ex-
pressionist sicherere Wege als bei der
Farbe. Wer die suggestive Kraft der
Linienspiele spüren will, darf nur die
Geschichte der Ornamentik studieren,
und der Architektur überhaupt. Da so-
dann der Expressionist im Grunde die
Natur doch nicht ganz entbehren kann,
so sind für ihn die Gefahren im Ge-
brauch derselben größer als für den Im-
pressionisten. Die beabsichtigte Zurück-
drängung der Natur schlägt nicht selten
ins Gegenteil um, so daß auch hier „vom
Erhabenen zum Lächerlichen nur ein
Schritt ist". Wenn man sodann aus der !
Verworrenheit des modernen Lebens
auch in der Kunst zur Einfachheit, zum :
„Primitiven" zurückftrebt, so ist es ganz
verfehlt, wenn eine „primitivistische"
Mode die Naivität des Kindes, die
Schlichtheit des' Bauern und die Urkraft
des Wilden künstlich züchten will. Bei
einem Kunstwerk sollte der innere Aus-
druck ganz ungewollt und mit „aller
Frische und Würze des Unbeabsichtig-
ten" in Erscheinung treten, während der-
selbe beim Expressionismus aufgenötigt
wird, so daß der ganze Erfolg jedesmal
in Gefahr ist.

Die einseitige Betonung des seelischen
Ausdrucks hat noch die weitere Gefahr,
daß die formale Gestaltung zu sehr ver-
nachlässigt wird. Wenn Kandinsky sagt:
„Das ist schön, was einer inneren seeli-
schen Notwendigkeit entspringt", dann
werden damit die ästhetischen Gesetze
großenteils auf den Kopf gestellt. Die
allzu große Differenziertheit der For-
men, das Vibrierende, das nervös Be-
wegte, die Schrillheit der Linien und
Farben darf nicht so weit gehen, daß dem
Kunstwerk auch eine letzte Wohlgefällig-
keit noch abgeht. Ueber die von der
Aesthetik festgesetzten formalen Prinzipien
darf sich kein Kunstwerk hinwegsetzen.
Die bedeutendsten Vertreter des Expres-
sionismus sind sich dessen auch bewußt.
Aber, es besteht für jeden (cf. Joseph
Eberz!) die Gefahr, daß ein gar zu un-
gestümes Ausdrucksverlangen sich nicht

mehr die Ruhe zu klarer Gestaltung
nimmt. Es wäre ein verhängnisvoller
Irrtum, wenn unsere modernen Künst-
ler sich über die Tatsache hinwegsetzen
wollten, daß jeder Mensch nicht bloß
geistig veranlagt ist, sondern auch sinn-
lich. Demnach muß naturgemäß auch
jede Kunstäußerung geistig und sinnlich
zugleich sein. Soweit wir entfernt sind
von der Rationalisierung und Mechani-
sierung der Kunst, so können wir die-
selbe doch auch nicht als „irrationale Da-
seinsform" gelten lassen. Wenn wir
sagen, daß jede Kunstäußerung geistig
und sinnlich zugleich sei, so soll damit der
Weg nicht vorgeschrieben werden, den der
Künstler zu gehen hat. Er kann vom
Sinnlich-Organischen ausgehen und Vor-
dringen zum Geistig-Abstrakten und
zwar mehr oder weniger weit, und ebenso
umgekehrt. Nur darf er nicht bei einein
der beiden Pole stehen bleiben, wie es
der Impressionismus! tat und wie es
entgegengesetzt der extreme Expressionis-
mus tut. Nähert der Künstler beide
Pole einander gleichmäßig, bis sie sich
berühren, so ist das Gleichgewicht vor-
handen. Wir möchten sagen, daß das in
der Antike der Fall ist. Ist nun dies das
Endziel in der Kunst? Offenbar nicht,
denn wir finden, daß in der Kunstge-
schichte eben die bald größere, bald ge-
ringere Entfernung vom Gleichgewicht
die verschiedenen Epochen charakterisiert.
Auch in der Kunst schafft das Gesetz des
Gegensätzlichen, des Kampfes. Dieser
„innere Gegensatz der Kräfte" gibt je
nachdem einer Kunstepoche ihren Wert.
Man kann treffend diese Bewegung Ver-
aleichen mit einem Pendel (vgl. „Die
Kunst," Heft 9, S. 16, 1920), das zwi-
schen den beiden Polen schwingt. „In
Wahrheit ist das, was wir als Umsturz
in der Kunst empfinden, nur eine Rich-
tungsänderung in der Pendelbewegung"
(ebenda). Seltsam genug, aber richtig
ist es, daß ein Künstler, je begabter er
ist, umsomehr im Rhythmus dieser Be-
wegung Mitschwingen muß, will er nicht
Zurückbleiben und versinken. Niemals
wird er die Pendelbewegung aufhalten,
Wohl aber kann das Genie sie noch be-
schleunigen. Tie Schlußfolgerung aus
dieser Erkenntnis geht aber nicht den
Künstler an, sondern das Publikum.
 
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