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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 1- 3
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Rohr, Ignaz: Zur Kunstgeschichte der St. Moritzkirche in Rottenburg-Ehingen auf Grund der Weitenauerischen Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0014
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für Kunstgeschichte Der st. Doritzkirche in ßiottenbmg-lkhingen

auf iSrunö Der Weitmaumfchm Lhronik.

Von Professor Dr- I. Rohr, Tübingen.

An die St. Moritzkirche zu Ehingen knüpfen sich für jeden, der in Rottenburg die letzte
Vorbereitung aufs Priestertum und die hl. Weihen erhielt, persönliche Erinnerungen, sei
es an den Levitendienst, sei cs an Predigten, fei es an das anmutige Bild der Kirche und die
seelenvollen Klänge der Glocken, die über den Neckar zum Seminar herüber grüßten. Als
ehemaliger Vikar an derselben bin ich für ihre Geschichte noch besonders interessiert und hole
hiemit nach, waö ich damals versäumen mußte. Der sog. über traditionum1) des StiftS-
propsteö Di-, theol. Joh. Ev. Weitenaucr (ch 1703), der sich in liebender Hingabe mit den
Schicksalen der Kirche und Pfarrei beschäftigt, war damals für lange Zeit nach Stuttgart
ausgeliehen (offenbar für die Vorarbeiten zur Neuauflage der Oberamtöbeschreibung).
Heute freue ich mich, dem Buche die Antwort auf so manche Frage entnehmen und weiter-
geben zu können, zu denen der Bau den Anlaß, aber keine klare Lösung gab.

Daß die Kirche aus dem gotischen Raumgefühl herausgewachsen ist, zeigt sich auf den
ersten Blick. Das sursum corda, aufwärts zu Gott! kündet die ganze Behandlung der
kubischen Masse, auch ohne die noch im Urzustand erhaltene Sakristei, den steilen Turm,
die allerdings nur spärlich ausgebildeten Pfeiler, ja selbst das Dach, so gründlich es auch
später verändert worden ist. Die Fenster freilich und die Gewölbe reden eine völlig andere
Sprache: jene könnten zwar der Breite nach noch der Gotik angehören, wie eine Menge
spätgotischer Bauten in unserm Lande beweisen. Auch den rundbogigen Abschluß weisen die-
selben teilweise noch auf (vgl. einzelne Proben an der Stiftskirche in Tübingen, die ge-
samten Oberlichter in Urach), aber nur in bescheidenen Dimensionen. Dagegen zeigen die
Nahtgewölbe der drei Schiffe das behagliche SichauSdehnen in die Breite aus späterer
Zeit. Nur haben die von früher beibehaltenen Stützen, die Rundsäulen, die der letzteren
eigene Betonung der Massen nicht mitgemacht, und die Behandlung der ans ihnen ruhenden
Scheidebögen durch die Malerei bei der neuerdings vorgenommenen Restauration läßt sie
noch dünner erscheinen. Die Scheidebögen selber sind gotisch. Ein weiteres Stück Höhen-
in Breitendrang zu verwandeln, war dadurch möglich, daß man das Mittelschiffgcwölbe
unterhalb der Oberlichter einzog, so daß diese fortan dem Dachraum angehörten. Nun konnte
man sämtliche drei Schiffe unter einem einzigen Dach vereinigen, verminderte damit wieder
das steile Aufwärtsdrängen der Gotik zugunsten des Breitendrangs der Barockzeit, aber
auch den einheitlichen Gesamteindruck des Aeußern, bereitete aber allerdings auf die Innen-
einrichtung vor, so wie sic die damalige Zeit beliebte (vgl. Beicht- und Chorstühle, Orgel-
empore und Epitaphien, abgesehen von denen der Höhenberger). Mit der Romantik und
dem Wiedererwachen des Verständnisses für die mittelalterliche Kunst kam auch das für den
ursprünglichen Charakter der Morizkirche und begann, die Altäre zu gotisieren. Ein noch
besseres Verständnis hat sie bereits wieder wegdekretiert und — bis jetzt wenigstens — zwei
derselben, nämlich den Seelen- und den St- Annaaltar durch gediegene Leistungen aus der
Werkstätte des Herrn Prof. Schnell-Ravensburg, eines gebürtigen Rottenburgers, ersetzt.
Die Sprache, in der die Kirche zu uns redet, ist also keine eindeutige. Jede Stilperiodc
spricht in ihrer Weise und aus ihrer Stimmung heraus. Aber deshalb können gerade wir sie
wohl besser verstehen als frühere Geschlechter.

Die Vorgeschichte bis zur Zeit Weitenauers ist in kurzen Zügen die: Der erste, im ein-
zelnen nicht mehr nachweisbare Bau fällt ins Jahr 1209'). Die Gründung eines Chor-
herrenstifts und die Erhebung zum Erbbegräbnis der Grafen von Hohenberg bringt eine
Erweiterung 1320 ff. Die Annakapelle in der Südostecke geht auf die Mcrhclte von
Wurmlingen zurück, die dort ihre Grablcgc haben. Der Turm wird 1433 vollendet, die

i) Ein Foliant von 407 Seiten, die Geschichte des Stifts von den Anfängen behandelnd und teil-
weise mit Auszügen aus Urkunden usw. belegend.

-) Ob die Mauerreste, welche Wcitenauer bei Berichten über Grabarbeiten am heutigen Chor
erwähnt, nicht auf eine frühere Krypta weise»?

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