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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

DOI issue:
Nr. 1- 3
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Nr. 4-6
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Weser, Rudolf: Der Bibliotheksaal von Wiblingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0055

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hobenem Antlitz und dem Spiegel in der Hand nach dem Worte des Apostels l. Kor. 13, 12:
„Wir schauen jetzt durch einen Spiegel im Rätsel, alsdann aber von Angesicht zu Ange-
sicht." Dann links weiter unten die Gabe des Verstandes mit dem Birett eines
Lehrers auf dem Haupt und eine Urkunde mit drei anhängcnden Siegeln, die Offenbarung
der Dreifaltigkeit bezeichnend, in der Hand. Zuäußerft links die Gabe des Rates mit
lieblichem, mildem Antlitz, mit einladender Handbewegung cf. Prov. 19, 2O: „Höre auf
Rat und nimm Zucht an." Daneben in Helm und Harnisch die Gabe der Stärke mit
einer Keule in der Hand. Zur Linken von der Gabe des Verstandes kauert die Gabe der
Wissenschaft mit verschiedenen Requisiten des menschlichen Wiffens, die Hilfsmittel
für den Erwerb der wahren Weisheit sein sollen. Weiter oben sitzt die Repräsentantin der
Gabe der Frömmigkeit mit geöffnetem Buch und einer Fackel, die das Feuer der
Andacht bedeutet. Über ihr die Gabe der Furcht Gottes, das Haupt auf die Rechte
gestützt, in einem Buche lesend, cf. Job 28, 28: „Sieh, Gottes Furcht, sie ist Weisheit
und Fernesein vom Bösen ist Erkenntnis."

Zu Füsicn des Berges des Lammes Gottes sitzen zwei große Figuren links und rechts.
Die eine trägt den Kelch mit der Hostie und ein Kreuz in der Rechten. Ihr Antlitz ist mit
einem wunderbar feingemalten Schleier verhüllt, unter dem man die Gesichtszüge sehr gut
erkennt. Der Blick der so verschleierten Frau ruht mit innigem Ausdruck auf dem Kelch
und der Hostie. Es ist die Figur des Glaubens, der zuversichtlich sich neigt vor den
Geheimnissen Gottes, die den Lebenden nie ganz enthüllt sind. Die andere Figur trägt in
der Rechten ein Ruder und hebt mit der Linken hoch das Kruzifir empor, zu dem sie be-
seligt aufschaut, wie wenn sie sagen wollte: „Sei gegrüßt, du beiliges Kreuz, du meine
einzige Hoffnung." Damit ist also die christliche Hoffnung gezeichnet.

Mit diesen beiden Figuren schließt zusammen sich der Berg mit den Gaben des Heiligen
Geistes und dem Gotteslamm als Symbol der Liebe nach dem Worte des Apostels:
„Die Liebe Gottes ist ausgegoffen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns
gegeben ist" (Römer 5, 5). So ist diese ganze Darstellung des Berges des Gotteslammes
ei» deutliches Bekenntnis zu dem Wort des Apostels 1. Kor. 13, 13: „Nun aber bleiben
Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei, das Größte aber unter diesen ist die Liebe." Eine
ungemein feinsinnige Exposition der höchsten Tugend und Weisheit des Christentums!

Als weitere Szene des Zyklus des Deckengemäldes folgt das Bild: „Die Über-
gabe der Kloster stiftnng Wiblingen an den ersten Abt Werner 1093".
Zwei Mönche messen mit dem Zirkel auf einer Karte den Platz und Plan des zu erbauen-
den Klosters, einer Heimstätte der Wissenschaft, aus. Einem durch Größe und Ehrwürdig-
keit des Alters ausgezeichneten Benediktinermönch, eben Abt Werner, übergeben die beiden
Stifter die Stiftungsurkundc. Dem greisen Abte ist nur ein bescheidener Mönch als Be-
gleiter bcigeordnet, während die Stifter, Graf Hartmann und Otto von Kirchberg, von
reich gekleideten Dienern umgeben sind.

Während die Bilder an der Südseite des Gewölbes, wie gezeigt wurde, auf dem
Prinzip des Gegensatzes sich aufbauen, sind die vier Bilder an der westlichen Schmalseite
und nördlichen Langscite im Geiste der fortlaufenden Entwicklung aufgebaut: Verkündigung
der Weisheit des Kreuzes durch die Benediktiner, Bestätigung und Segnung ihrer Arbeit
durch den Papst, Ausbreitung ihrer Wirksamkeit durch edle Stiftungen von Klöstern, hier
durch die Gründung von Wiblingen. Aber wenn man diesen Zyklus mit den Bildcrrcibeu
der östlichen Schmalseite und der südlichen Langseite in vergleichende Verbindung setzt, so
ergeben sich wiederum schneidende Antithesen: der Baum des Paradieses — der Baum des
vom Kreuz überschatteten Heiles, dort die Selbstvergötterung des MenschcngcisteS in der
Sünde — hier die Befreiung des Menschen vom Götterwabn durch die christliche Weis-
heit. Dort ein Kaiser, der den Vertreter irdischen Wiffens von sich verbannt — hier der
Vater und Fürst, der die christliche Weisheit schützt und segnet. Dort ein stolzer Welt-
weiser, der das helfende Anerbieten des Königs sich selbst genügend zurückwcist — hier die
Mönche, die freudig die hochherzige Stiftung übernehmen. Vollends klar liegen die Gegen-
sätze zwischen dem Muscnberg und dem Gottcsberg. Nur auf Eines fei noch hingewiesen:
der Figur am Musenbcrge, die wir als Vertreterin des heidnischen Mysterienkultes deu-
teten, steht am Gottesberge gegenüber die Figur des Glaubens, die sich dem tremendum

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