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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 7-9
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Weser, Rudolf: Zur Ikonographie des Isenheimer Altars, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0070
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im Ikonographie Des Isenheimer Nllars.

Von Stadtpfarrer Weser, Söflingen.

Seit einer Reihe von Dezennien ist der Name Matthias Grünewald auf den Lippen
ocr Kunftexperten und der Kunstfreunde. Die einen sehen in ihm den größten deutschen
Meister, den Maler, der deutsches Empfinden und deutsche Form- und Gestaltungskraft
in wunderbarster Farbensymphonie zum Ausdruck gebracht hat; sie stellen ihn über die
bisher herrschenden Größen Holbein und Dürer. Andere glauben an ihm nicht ertragen
zu können die Uebertreibung des Pathos, das Nichtzurückweichen von der Darstellung des
Gräßlichen, ja des Häßlichen und Abstoßenden. Doch sind die letzteren mit der Zeit klein-
lauter geworden. Die Erkenntnis von dem Vorhandensein einer überragenden leidenschaft-
lichen Künftlerpsyche in Matthias Grünewald dringt sieghaft durch. Der Schleier, der
sich seit Sandrarts Zeiten über seine Persönlichkeit gelegt hat, beginnt sich immer mehr
zu lichten. Nach den neuesten Entdeckungen und Untersuchungen Zülps scheint auch sein
wahrer Name gefunden zu sein: Matthias Neidhart Gothart. Vielleicht ist die Zeit nicht
mehr fern, die uns tiefere Kenntnis int Leben und Wirken des Künstlers verleiht.

Wie seine Person bis jetzt vielfach rätselhaft geblieben ist, so geben auch seine Werke
viele Rätsel auf. So ist sich die sehr ausgedehnte Literatur über den Meister keineswegs
klar über den Gedankeninhalt mancher seiner Bilder, besonders auch nicht des Isenheimer
Altarwerks. Eine befriedigende Lösung des Problems scheint uns noch nicht gefunden
zu sein.

I. Bisherige L ö s u n g L v e r s u ch e.

Fast durchgehends wird bei den bisherigen Lösungsversuchen das Hauptgewicht auf
das zweite Bild der Mariendarstellungen auf dem Altäre gelegt. Dieses Bild stellt eine
Art Tabernakel dar, auf dessen Pforte eine lichtumflossene Jungfrau kniet, über der zwei
Engel eine Krone halten, und in deren Gefolge eine ganze Schar von Engeln in Licht
und Farbe schwimmt, von denen die drei größten je ein Saiteninstrument spielen. Man
hat das Bild deshalb auch einfach „Engelkonzert" genannt. Die Auslegung dieses Bildes
ist nun gar verschiedene Wege gegangen. SchubringH versteht unter der lichtumflossenen
Jungfrau die hl. Katharina, eine ganz abwegige Deutung. Einmal paßt die Darstellung
gar nicht in den Rahmen der Gcsamtbilderreihe. Sodann kann hier nicht auf die Ver-
mählung der hl. Katharina mit dem Jesuskind angespielt sein, weil zwischen der
Heiligenfigur und dem Kinde gar keine äußere Beziehung obwaltet. Ebenso ist abzuweisen
die Deutung DamrichsH auf eine Madonna im Aeh r c n kle i d e. Diese Art
der Darstellung weist auf Maria als Tcmpeljungfrau hin. Der Grünewaldschen Figur
fehlen die für die Aehrcnmadonna charakteristischen Spitzen am Halsausschnitt des Klei-
des und an den Aermeln. Auch spricht die Reihenfolge der Bilder des Altarwerks gegen
diese Darstellung.

Eine Reihe von Forschern sieht in der Figur die „anima fidelis“, die erlöste
Seele. Zuerst ist diese Erklärung von Friedrich Schneider') gegeben worden. „Die christ-
liche Seele ist hier dem Chor der Seligen in vorausgreifender Weise eingereiht." In
kurzen Worten hat sich ihm Franz Bock") angeschlossen. In seinem Ehrenbuch des deut-
schen Volkes schreibt neuestenö H. F. Helmolt') im Aufsatz über Grünewald zu unserem
Bilde von dem „Hause der Seele, worin alle guten Kräfte über die Geburt Gottes
jubeln, und die Seele selbst als gekrönte Gottcsbraut inmitten der jauchzenden Engel
kniet. Dieser glücklichen Verquickung von Wirklichkeit und Phantasie entspricht die wun-
derbare Mischung von Licht und Farbe." In dieser Ansicht ist allerdings eine Verquickung

*) Schubring, Matth., Grüncwalds Isenheimer Altar in Kolmar, Text zu den färb. Reprodukt.,
Verlag Seemann, Leipzig. S. 7.

") Damrich, Matth. Grünewald, Die Kunst dem Volke, 1919, S. 10 s.

3) Schneider, M. Grünewald und die Mystik, Beil. z. „Allg. Zeitung", 1904, Nr. 234/235.

4) Bock, M. Grünewald, 1909, München, l Bd.

Helmolt, Ehrenbuch des deutschen Volke«, 1924, S. 94.
 
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