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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 7-9
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Weser, Rudolf: Zur Ikonographie des Isenheimer Altars, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0082
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graphische Verwertung dieser Stellen scheint mir nicht so unzweifelhaft zu sein. Anders
ist cs mit der dritten Stelle II. Moses 4, 15: „Ich beschwöre dich, Herr, sende den, wel-
chen du senden willst". Dafür baben wir eine ikonographische Verwendung anzuführen.
Dies geschieht in dem M i s s a l c ans H i l d e S h e i m 4G), das eine Reihe von Minia-
turen von ganz vortrefflicher Ausführung enthält. Darunter befindet sich auch eine solche
für das WeihnachtSfcst. Das Bild besteht aus drei Teilen: unten die „verschlossene
Pforte", zu deren Seiten Gideon mit dem Fell und eine Jungfrau mit dem Einhorn, in
der Mitte Maria im Wochenbett, darüber das Jesuskind in der Krippe mit Ochs und
Esel, rechts St. Joseph, links der Prophet Ezechiel 44, 2 mit dem Schriftband: porta
iiaec clausa erit („geschloffene Pforte"). Darüber bildet ei» dreiteiliges Bild den
oberen Abschluß: Vor einem Dreieck (Dreifaltigkeit) erscheint im Dornbusch das Haupt
Gottes, und die Hand Gottes hält ein Spruchband mit den Worten: veni, mittam te
— komm, ich will dich senden "). Rechts hält Moses in halbkniender Haltung ein Spruch-
band mit der Legende: obsecro, Domine, mitte quem missurus es — ich beschwüre
dich, Herr, sende den, welchen du senden willst. Links steht Johannes der Täufer mit dem
Spruch: Qui de coelo venit, super omnes est — wer von oben kommt, ist über
allen (Joh. 3, 31). Der kunstreiche und bibelfeste Illuminator des Missale will also den
Ratschluß Gottes zur Befreiung Israels aus der Knechtschaft der Ägypter in Verbindung
setzen mit dem Ratschluß der Erlösung der Menschheit, und setzt die zaghaften und furcht-
samen Worte des Moses in Parallele zur freudigen Übernahme des ErlösungSwerkeS
durch den Sohn Gottes.

Übrigens ist das Missale aus Hildesheim nicht das einzige Beispiel dieser, wenn
auch seltenen Darstellung. Im Codex Grimani der Markusbibliothek zu Venedig sieht
man ein Bild, auf dem daö Volk dcS Alten Bundes Gott um die Sendung des Messias
anruft. „In öder, felsiger Gegend stehen die Vertreter der zwölf Stämme und erheben

ihre Häupter zu Gott, der mit der dreifachen Krone und der Weltkugel, von zwei Engeln

begleitet, in den Wolken sichtbar ist, und beten: obsecramus, Domine, mitte quem
missurus es" 40 * * * * 4S).

Damit dürfte nun der ikonographische Beweis dafiir erbracht sein, daß die Tym-
panonfiguren des Ifenheimer Altars den göttlichen Ratschluß der Erlösung
ausdrücken wollen und daß wir in ihnen G o t t V a t e r u n d S o h n zu erblicken haben.

In diesen Figuren haben wir den Schlüssel zur Erklärung der Bilderreihe gefunden 40).

2. Die Verkündigung des Erlösers.

Die vier Bilder der „Erlöserreihe" zeigen einen auffallenden Unterschied. Die beiden
ersten Bildfelder sind nach oben zu in einem braungrünlichen Farbento» und in mehr ver-
haltenem Lichte gemalt, während die beiden folgenden von viel bedeutenderen Lichtquelle»
übcrgosscn sind. Vorhänge mit langen Fransen befinden sich am Anfang des ersten Bild-
feldes, und ein Vorhang hängt am Abschluß des zweite» Bildfeldes; in den folgenden
beiden Bildern ist von einer derartigen Begrenzung keine Rede mehr. Dieser komposi-
lionelle und koloristische Gegensatz schließt auch eine gegenständliche Verschiedenheit in sich.
Im ersten Bilderpaar kommt das velamen des Alten Bundes zum Ausdruck, von dem
Paulus im zweiten Korinthcrbriefc spricht 3, 14. 15. 16. Doch ist der Schleier schon
gelüftet durch die Vorbereitung des Ratschlusses Gottes. Der kirchliche Raum des ersten

40) „Zeitschrift für christl. Kunst", I0O2, Sp. 309. In dem Aufsatz über die kuusthistorischc Aus-

stellung i» Düsseldorf ist von Stephan Beiffcl ein Missale aus Hildesheim beschrieben, das sich im

Besitz des Grafe» von Fürstenberg-Stammheim befindet.

4Ü Diese Worte sind nicht aus der Gencsisstelle, sondern aus der Rede des Stephanus vor dem

Hohen Rate: „komm, ich will dich senden nach Aegypten", Ap.-Gesch. 7, 34.

4S) Müller und Mothes I S. 374. Le Breviaire Grimani ed Ongania 1906 S. 25. Das Bild wird
G. van der Meer zugeschrieben. Der Ausdruck bei Müller und Mothes: „Die Vertreter der 12 Stämme",
ist nicht genau. Es sind im ganzen wenigstens >3 Personen zu erkennen.

4") Wie wir nachträglich sehen, hat auch Sticrling, Thcol. Erklärungen zu einigen Bildern Meister
BertramS in der Hamburger Knnsthalle, im Report, f. Kunstw. XLIV (VIII), Heft 4/(5, S. 276,
das Bild im Livre d'heures mit der von uns angeführten Stelle aus den Offenbarungen der Schwester
Mechtild in Einklang gefetzt, ohne aber auf die Beziehungen zu dem Ifenheimer Werk zu stoßen.
 
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