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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 40.1925

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Nr. 7-9
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Weser, Rudolf: Zur Ikonographie des Isenheimer Altars, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15943#0083
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Bildes läßt uns in einen Chor Hineinblicken, der durch drei Fenster (Dreieinigkeit) erhellt,
dessen Gewölberippen, wie der diesen Teil abschließende Vorhang, in grüner Farbe
(Hoffnung) gegeben ist. Im Vorchor, in dem die Verkündigung sich abspielt, sind die
Farben der Gewölberippen rötlich schimmernd, wie auch der langfransige Vorhang, der
bis in die Ecke zurückgeschlagen ist (Erlöserliebe). Gerade unter den diesen Raum abschlie-
ßenden Chorbogen ist die heilige Szene verlegt. Hoch reckt sich links oben der Prophet
IsaiaS auf und enthüllt breit sein Prophetenbuch mit der Stelle: „Siehe, die Jungfrau
wird empfangen" (7, 14). Eine ideale Linie verbindet sein Buch mit dem Pergamentband
auf der Truhe, vor der die Jungfrau Maria kniet oder sitzt. Und nun beginnt mit einem
raschen, fast stürmischen Andante die Einleitung der Erlösung. In seinem wie von lebhaftem
Winde bewegtem Gewände und mit ebenso lebhafter Handgeste entledigt sich Gabriel sei-
nes Auftrags gegenüber der erschreckenden Jungfrau, während mild und leise die Taube
des Heiligen Geistes über dem grünen Vorhang hercinschwebt. Das Pergamentbuch zeigt
dieselbe Prophctenftclle in teilwciscr Wiederholung, ähnlich wie Vcrsikel und Rcsponso-
rium sich im Graduale der Messe folgen. Als sie den Engelsgruß hörte, „da erschrak sie
über seine Rede". Dieser Moment der Erzählung des Evangelisten Lukas ist hier zunächst
im Bilde festgchaltcn, was schon ziemlich von der landläufigen Übung in dieser Dar-
stellung abwcicht. Zum Verständnis für die Wahl gerade dieses Augenblicks ist cs Beitz
erfreulicherweise gelungen, aus dem Augustinerbrevicr, das auch die Antonitcr benutzten,
eine treffende Stelle auszuheben vom Feste der Verkündigung. Hier wird Maria erzählend
eingeführt: venit ad me Christi paranymphus. Non patriardia primus aut
propheta egregius, sed Gabriel iIle ardiangelus, lade rutilans, veste corus-
cans, ingressu mirabilis, aspectu terribilis. Yisitavit et perturbavit me. Es
ist in der Tat, als ob Grünewald diese Stelle vor Augen gehabt hätte, so genau treffen die
einzelnen Worte mit seiner Zeichnung und seinem Kolorit zusammen^"). Allein, das ist
nur e i n Moment der Darstellung, die noch ein viel wichtigeres in sich schließt. Der Engel
streckt seine Hand in ganz eigentümlicher Form über Maria aus: die drei ersten Finger
seiner Rechten sind gerade ausgestreckt, während die beiden letzten eingebogen und nach
abwärts gesenkt sind. In den drei ausgestrecktcn Fingern ist sicher die t r i n i t a r i s ch e
B o t s ch a f t angedeutet: „Der H e r r ist mit dir", „der Heilige Geist wird über
dich herabkommcn", „das Heilige, das aus dir geboren werden soll, wird Sohn G o t -
t e s genannt werden". Die grandiose Fülle dieser trinitarischen Botschaft hält Maria in
der geistigen Erregung, bis sic nach der Erklärung des Engels in demütigem Gehorsam
und Glauben das Fiat! spricht: „Siehe, ich bi» eine Magd des Herrn; mir geschehe
nach deinem Worte". Mit diesem Fiat! eint sich die Menschheit in ihrer Edelblüte, die
sich dem Tau der höchsten Himmelsgnade erschließt, mit dem Willen Gottes, dem Rat-
schluß Gottes. Dem Ungehorsam und dem Eigenwillen der ersten Menschen gegenüber
beugt sich die Menschheit in der „Magd des Herrn" dem Erlöserwillen Gottes. So wirke»
Gottheit und Menschheit zusammen bei dem Werke der Erlösung, die freie, liebevolle
Herablassung Gottes und die freie Mitwirkung des Mensche». Auch hier gilt das Augusti-
nische Wort: „Gott, der dich erschaffen hat ohne dich, rechtfertigt (erlöst) dich nicht ohne
dich"'"). Das „Fiat" Mariens hat den Gottessohn vom Himmel herabgezogen, damit er
Menschensohn werde, um die Menschen zu Gotteskindern zu erheben. Darum nennt der
I lortulus animae 1516 l'ol. 61 Mariä Verkündigung geradezu exordium uostrae
redemptionis. Maria ist zum templum Salomonis geworden, „da will der allmächtige
Gott neun Monate zur Herberge sein" (Mechthild von Magdeburg).

3. Das Engelkonzert oder die Erwartung des Erlösers.

Der einmal adoptierte Name für dieses Bild: „Engelskonzert" will manchem Er-
klärer nicht gefallen. Doch kann er ganz gut als pars pro toto beibehalten werden, und
empfiehlt sich durch seine Kürze, wenn auch der Hauptinhalt dc§ Bildes sachlich richtiger
als „Erwartung des Erlösers" bezeichnet werden dürfte.

°°) Bcih, S. 16.

öl) Deus qui creavit tc sine te, non iustificat te sine te. Augustinus Serin 169c 11 u 13; Migne 38,
923 heißt die Stelle: Qui ergo fecit te sine te, non te iustificat sine te.

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